Hoffnung auf Becketts Endspiel

„Wenn es weh tut, dann bist du unten“: Über den Berliner Schauspieler Teo Vadersen, der während einer Vorstellung des Theaters Affekt im Tacheles verunglückte und nun im Rollstuhl sitzt  ■ Von Klaus Nothnagel

Ich bin Schauspieler“, schreibt Teo Vadersen, geboren am 6.6.1962, in einer Selbstauskunft, „am 28.9.96 stürzte ich während einer Theatervorstellung aus 4 Meter Höhe auf den Betonboden des Theatersaals. Dabei brach ich mir beide Fersenbeine. Dadurch wurde ich stark gehbehindert und muß einen Rollstuhl benutzen. Nach Ansicht der Ärzte werde ich nie wieder schmerzfrei laufen können und habe mit erheblichen Bewegungseinschränkungen zu rechnen, ich werde also weiterhin von einem Rollstuhl und fremder Hilfe abhängig sein.“

Die Theatervorstellung, bei der Teo Vadersen aus vier Metern Höhe auf den Betonboden fiel, hieß „Roberto Zucco“ (Regie: Lars Ole Walburg); auf die Bühne gebracht hatte sie das vielgelobte Theater Affekt in Co-Produktion mit den Berliner Festspielen, gespielt wurde im großen Saal des Tacheles. In einer nüchtern geschriebenen handschriftlichen Notiz hat Vadersen den Hergang des Unfalls beschrieben:

„Ich weiß nicht mehr, welches Wort ich gerade sagen wollte, vielleicht war es auch eine Pause zwischen den Sätzen, jedenfalls höre ich einen metallenen Ton, ein groteskes Klingen des Hakens, an dem ich hänge, und kurz: justament weiß ich mich in der Luft. Instinktiv stoße ich mich vom Brett, auf dem ich gestanden, ab. Ich breite die Arme wie zum Fliegen aus und winkle die Beine an. Die Zeit scheint sich zu verlangsamen. Ich bin ganz gefaßt, falle ins Dunkel, ich sehe nichts mehr, ich denke nur: wie weiß ich denn, wann ich am Boden bin? Die logische Antwort, die mir meine innere Stimme gibt: Na, wenn es weh tut, schmerzt, dann bist du unten.“ Nach Teo Vadersens Aufprall: Abbruch der Vorstellung, die ganze Serie der Roberto-Zucco- Vorstellungen für die Festwochen der Berliner Festspiele wird beendet. Ärzte, Kriminalpolizei. Vadersen wird in die Charité gebracht – heute sitzt er im Rollstuhl, macht tapfer Witze über seine Lage und will auf jeden Fall Schauspieler bleiben.

Natürlich gibt's Rollen für Männer im Rollstuhl nicht wie Sand am Meer –, es gibt sie aber. Man kann auch rezitieren, man kann singen im Rollstuhl, beim Radio als Sprecher tätig sein wäre eine Möglichkeit. Vielleicht entschließt sich ja auch das Theater Affekt, mit Vadersen in der Hauptrolle Becketts Endspiel zu inszenieren – dessen Hauptfigur rührt sich bekanntlich während des ganzen Stücks nicht vom Fleck beziehungsweise aus dem Rollstuhl. Diesseits solcher Ideen: Wie verhalten sich überhaupt Theater Affekt und Tacheles gegenüber dem Verunglückten?

Beide, Theater Affekt und Tacheles, machen anläßlich meiner ersten Anfragen einen leicht aufgescheuchten Eindruck. Offenbar, so meine Vermutung, hat man sich einige Zeit nicht sehr intensiv mit Teo Vadersens Fall beschäftigt. Beim Tacheles kommt dazu, daß der Kampf ums Überleben der verdienten Kulturruine gerade in die Zielgerade einbiegt. Auf eine klare Schuldzuweisung kann und will Martin Reiter vom Tacheles sich nicht festlegen.

Wie gesagt: Im Tacheles brennt die Luft wg. Überleben des Hauses; Martin Reiter wird für mich ein Dossier zusammenstellen, in dem der Unfall aus Sicht des Tacheles dargestellt wird. (Die Fertigstellung dieses Dossiers überschneidet sich blöderweise mit dem Redaktionsschluß, so daß ich für diesen Artikel hier nicht daraus zitieren kann – wir berichten bei anderer Gelegenheit darüber!)

Tom Till, Produzent beim Theater Affekt, beantwortet meine Frage, ob man sich schon in irgendeiner Weise für die finanzielle Zukunft von Vadersen engagiert habe, mit den Worten: „Wir versuchen, mit anwaltlicher Hilfe die Berufsgenossenschaft, die für Unfallrenten zuständig ist, in die Haftung zu kriegen. Zur Zeit streiten sich die Verwaltungsberufsgenossenschaft und die Eigenunfallversicherung des Landes Berlin darüber, wer zuständig ist.“ Das hört sich vernünftig und ehrbar an, wenn man mal vom Streit der Berufsgenossenschaften absieht.

Meine Frage war allerdings, was das Theater Affekt selbst für Teo Vadersen getan hat – schließlich handelt es sich um eine berühmte Off-Theater-Truppe, und auch nicht gerade um eine der ärmsten. Immerhin, auch in dieser Frage ist etwas im Gange: Das Theater Affekt ist einmal mehr zu einem Festival eingeladen; die Einnahmen, die sich dort ergeben, könnten Teo Vadersen zugute kommen, sagt Produzent Tom Till am Telefon. Auch Martin Reiter vom Tacheles erbittet von mir Teo Vadersens Adresse, um ein halbes Jahr nach dem Unfall dann doch endlich etwas für Vadersen tun zu können.

Die erste Benefiz-Veranstaltung für Vadersen allerdings hat das Unfallopfer mit Freunden selbst organisiert. Wer da nicht hinkommen kann oder will, darf spenden. Alle, die sich für Theater interessieren, alle, die das Theater und die Schauspieler lieben, dürfen Geld für Teo Vadersen geben. Auch Theater Affekt und das Tacheles. Die Berliner Off-Theater- Szene insgesamt hat jetzt eine schöne Gelegenheit, zu beweisen, daß sie nicht nur „Ideen“ und „Visionen“ im Kopf, sondern auch ganz normalen menschlichen Anstand im Leibe hat. Auch Geld von Staatstheaterschaffenden ist durchaus willkommen. Spendet, Gaukler, spendet!

Benefiz-Veranstaltung für Teo Vadersen: Beene-Fez für Teo Vadersens Füße. Morgen, 15. 3., 16 Uhr Kinderprogramm, 20 Uhr für Erwachsene. Ort: Kulturhaus Peter Edel, Weißensee. Fahrverbindungen: Straßenbahn 2, 3, 4 ab Hackescher Markt; Straßenbahn 23, 24 ab Osloer Str., aussteigen: Berliner Allee/Albertinstraße; Eintritt: Kinder 5 Mark/Erwachsene 15 (12) Mark

Spenden bitte auf folgendes Konto: Teo Vadersen, Sparkasse Berlin, BLZ 100 500 00, Kto. 414 416 41 82