Gericht zwingt zum Bruch mit Teheran

■ „Mykonos“-Prozeß: Kammergericht nennt die iranische Staatsführung als Auftraggeber für vierfachen Mord. „Lebenslänglich“ für zwei Haupttäter. Bonn und Teheran ziehen ihre Botschafter ab. „Kritischer Dialog“ beendet

Berlin/Paris/Teheran (taz/AFP) – Der kritische Dialog der Bundesregierung mit der iranischen Führung ist vorerst beendet. Damit reagierte Bonn gestern abend auf die Urteilsverkündung im Berliner „Mykonos“-Prozeß. Der besonders von Außenminister Klaus Kinkel propagierte Dialog werde ausgesetzt – „auf absehbare“ Zeit, wie es in einer Erklärung hieß. Die Folgen: Der deutsche Botschafter in Teheran, Horst Bächmann, wird nach Bonn gerufen. Vier in Deutschland akkreditierte iranische Diplomaten müssen das Land verlassen.

Noch vor der Bundesregierung äußerte sich Irans Führung zu dem Berliner Urteil: Irans Botschafter Hossein Moussavian werde zu dringenden Unterredungen nach Teheran gerufen. Das staatliche Fernsehen begründete den Schritt unter Berufung auf einen Sprecher des Teheraner Außenministeriums mit dem „politischen“ Urteil des Berliner Kammergerichts. Der Berliner Richterspruch sei „in der Gegenwart der Konterrevolution“ gefällt worden, hieß es in der Meldung des iranischen Fernsehens. Das Urteil habe „die Tötung von Konterrevolutionären“ zum Gegenstand gehabt.

Zuvor war Moussavian im Auftrag von Außenminister Klaus Kinkel (FDP) ins Auswärtige Amt einbestellt worden . Dabei wurde dem Botschafter mitgeteilt, daß die in der Urteilsbegründung festgestellte Beteiligung staatlicher iranischer Stellen an dem Attentat einen „eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht“ darstelle. Ein derartiges Vorgehen im Bereich internationaler Beziehungen „kann nicht hingenommen werden“.

Zugleich sei Moussavian mitgeteilt worden, es liege nach Bonner Auffassung im Interesse beider Staaten, daß „die Lage nicht weiter eskaliert“. Die Bundesregierung vertraue auf die Zusage der iranischen Regierung, daß die Sicherheit von deutschen Staatsangehörigen und deutschen Einrichtungen im Iran gewährleistet werde. Gleiches sei für Iraner und iranische Einrichtungen in Deutschland veranlaßt worden. Weiteren Konsequenzen hat die iranische Führung vorgebeugt: Um einer Ausweisung einiger ihrer in Deutschland aktiven Geheimdienstler zuvorzukommen, werden etliche von ihnen in ihre Heimat abgezogen. Nach Informationen der taz erhielten in den vergangenen Wochen mindestens 14 iranische Agenten aus Teheran die Anweisung, Deutschland zu verlassen – einige sind bereits abgereist.

Gestern hatte das Berliner Kammergericht verkündet, für den Mord an vier oppositionellen iranischen Kurden im September 1992 in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ seien neben Irans Geheimdienstminister Ali Fallahian auch Staatspräsident Rafsandschani und der Religiöse Führer der Islamischen Republik, Chamenei, verantwortlich. Ohne deren Namen zu nennen, sagte der Vorsitzende Richter des 1. Strafsenats, Frithjof Kubsch, die Morde seien im Teheraner Komitee für Sonderangelegenheiten befohlen worden, dem auch Außenminister, Religiöser Führer und Staatspräsident angehörten.

Von den Angeklagten verurteilte das Gericht den Iraner Kazem Darabi zu lebenslanger Haft, ebenso den libanesischen Todesschützen Abbas Rhajel – Freilassung nach 15 Jahren ausgeschlossen. Der Libanese Jussef Amin bekam elf Jahre Haft, sein Landsmann Muhammad Atris fünf Jahre und drei Monate. Der Libanese Atallah Ajad wurde freigesprochen.

Irans Parlamentspräsident Nateq Nuri erklärte während eines Besuchs in Moskau knapp, das Urteil sei „politisch gefärbt“. Um so größer war die Zustimmung bei iranischen Oppositionellen. „Der Iran ist ein terroristischer Staat“, erklärte der in Paris lebende iranische Expräsident Abol Hassan Banisadr gegenüber der taz. Am Montag werde er in Bonn mit Politikern über die deutsche Iran-Politik diskutieren – nur FDP-Politiker wolle er nicht treffen, denn: „Es waren Herr Kinkel und vor ihm Herr Genscher, welche die kompromittierenden Beziehungen zu den iranischen Mullahs unterhalten haben.“ Einen „großen Schritt gegen den Staatsterrorismus des Iran“ nannte der Auslandsvertreter der Demokratischen Partei Kurdistan – Iran (KDP-I), Schaho Hosseini, das Urteil. Dem „Mykonos“-Attentat war die Führungsspitze seiner Organisation zum Opfer gefallen.

Vor dem Berliner Gericht feierten gestern rund tausend Iraner ein Straßenfest. Dabei kam es zu Rangeleien: Die Demonstranten hatten iranische Diplomaten entdeckt, die versuchten, Videoaufnahmen der Oppositionellen zu machen. taud

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