Im Bus zum Weißen Haus

■ „Stonewall“, ein Film des 1995 verstorbenen Regisseurs Nigel Finch über die schwule New Yorker Szene der 60er Jahre

„Hör mal“, verkündet „La Miranda“ (Guillermo Diaz), „wenn dieser Kinsey anruft, kannst du ihm sagen, ich bin der Kerl von uns beiden!“ Ein bißchen mütterlich (natürlich) und mit der Glut eines leidgeprüften Herzens (logisch) bemüht sich Miranda, eine wehrhafte puertoricanische Drag Queen, ihren neuesten Liebhaber in die schwule Halbwelt der großen Stadt einzuführen. Schließlich schreiben wir den Juni 1969, und Smalltown- Boy Matty Dean (Frederick Weller) ist extra aus der Provinz nach New York gehitchhiked, um die schwule Szene kennenzulernen und ein echter Homo zu werden.

Letzteres gerät erst mal zur Farce, weil Matty ausgerechnet bei einem Haufen dröger Mittelstandsfrauen und -männer Rat sucht, die ihre „Veranlagung“ nach Kräften wegtarnen. Kraß der Bürgerrechtsausflug der Truppe nach Washington: Piefig as can be eingekleidet, versuchen sie, vor dem Weißen Haus „Normalität“ zu demonstrieren, und singen im Bus nette Lieder. „We shall overcome“ oder so. Wobei der Film diese Betulichkeit durchaus nachvollziehbar macht: Schließlich war noch in den 50er Jahren die psychiatrische Umerziehung gang und gäbe, auch der Spirituosen-Ausschank an Homosexuelle war gesetzlich verboten.

Mehr Glück hat das Greenhorn bei Miranda und ihren Bar-Schwestern im „Stonewall Inn“. Die Sympathien des Regisseurs liegen von Anfang an unverkennbar beim nachtlebigen Treiben der Subkultur (natürlich) und, genauer, bei der heute geschichtsträchtigen Bar in der Christopher Street (logisch). Hier kam es bei der x-ten Polizeirazzia zur Straßenschlacht. Das „Stonewall Inn“ als Keimzelle der Schwulenbewegung wird dementsprechend abgefeiert. Varieté-Einlagen satt. Soviel bunte Kostüme, soviel wortwitzige Weisheiten werden hier aufgeboten, daß man sich den nächsten CSD glatt schenken könnte.

Wären da nicht die nachdenklichen Momente des Films, etwa als Doppelmoral und ängstliches Doppelleben den Barbesitzer Skinny Vinne (Bruce MacVittie) bis zum Selbstmord treiben. Als dann noch Judy Garland stirbt, ist das Drama da. „Lesbierinnen“ allerdings kommen kaum vor (wahrscheinlich wegen der Kostüme, gell), weswegen der Film als historisches Vehikel etwas in Schieflage gerät. Gudrun Holz

„Stonewall“, Regie: Nigel Finch, GB 1995, OmU. Ab 8. Mai im Kino Xenon, Kolonnenstraße 5–6