■ Die größte Kränkung Europas
: Die Asiaten kommen!

Oft habe ich mich amüsiert über die japanischen Touristen. Weniger ihres Auftretens en masse als ihres uniformen Outfits wegen. Wo die doch sowieso alle gleich aussehen. Und dann um die halbe Welt fliegen, nur um sich selbst abzulichten: hinten, unscharf, irgendwas Klassizistisches, davor, oberscharf, das asiatische Dauergrinsen. Aber das Lachen ist mir vergangen. Weil ich jetzt weiß, warum ich gelacht habe. Warum Sie immer noch lachen, wir aber nichts zu lachen haben?

Witze stellen, sagt Freud, die Verspotteten und die Spottenden bloß: Unbewußtes schmuggelt sich vorbei an den Scheren im Kopf und macht sich im Lachen Luft. Wir sind befreit, wo wir verklemmt, überlegen, wo wir unterlegen sind. Was aber bricht sich hier Bahn? Die Furcht vor einer Milliarde Rotchinesen, projiziert auf japanische Reisegruppen? Wohl kaum. Das schlechte Gewissen ob des eigenen Verhaltens, wenn wir, mehrmals im Jahr, der Welt unsere touristischen Aufwartungen machen? Schon eher.

Und ganz im Gegenteil – erstmalig sind wir das Objekt touristischer Begierde. Das bedrückt uns. Der Japaner auf Berlins Promenade Unter den Linden gleicht dem Europäer auf der Cheopspyramide; besichtigt werden Relikte einer Hochkultur, die der eigenen voranging.

Verglichen mit Ostasien ist es um uns bestellt wie um die Fortschritte der ägyptischen Baukunst zu Zeiten der industriellen Revolution.

Lange Zeit waren Handels- und Reiserouten Einbahnstraßen. Doch jetzt erfahren wir – als Einheimische – den Fremden-Verkehr: Europas Paläste mit ihren Kuppeln und Portiken werden bestaunt und seine Hütten aus Backstein und Holz. Aus Sicht eines Tokioters sind Berlin oder Rom buchstäblich Metropolen einer Alten Welt. Und der Schein trügt nicht. Das 19. Jahrhundert war das europäische, das 20. das amerikanische – das 21. wird das asiatische sein. Wir sollten erinnern, was Europa und dann den USA die kulturelle Hegemonie bescherte. Nichts als die technische Überlegenheit, die gerade den Besitzer wechselt.

Dabei war dieses Jahrhundert schon Zumutung genug. Obwohl wir den Rassisten in uns beruhigen konnten: Alles, na fast alles, von unserem Fleisch und Blut. Und fühlten wir uns gegängelt, kam uns gleich John F. Kennedys versöhnlicher Satz in den Sinn: „Ich bin ein Berliner.“ Und nun folgt, auf den eben noch passablen Coca-Cola-, ein Sushi-Suki-Imperialismus! Ruft bald ein asiatischer Staatschef vom Roten Rathaus: „Ich bin ein Bellinel!“? Oder noch eher: „Ich pfeife dlauf, ein Bellinel zu sein!“?

Sicher ist, die Asiaten kommen. Nichts ist so postmodern wie das Hongkong-chinesische Kino, nichts so hip wie der japanische Kitsch, den es in Berlin direkt neben Techno-Platten und -Klamotten zu sehen gibt. Models, Comics ... alles ist jetzt von da. Dabei war „ost“ noch vor kurzem ein Synonym für „out“. In Zukunft heißt es, je ferner ost, desto mega in.

Und weiter geht's: Beinahe jedes normale deutsche Magazin für Popkultur weiß heute, daß „Raving Society“, „Spirit“ und „Vibes“ Schlagworte der 90er Jahre sind. In zwanzig Jahren aber werden die Schlagworte „Li-bang“ und „Ky-Jo“ heißen.

Autor Shintaro Ishinara hat die Lage aus asiatischer Sicht auf die Formel „Das Asien, das nein sagen kann“ gebracht. Fürwahr, Asien kann nein sagen (zum Beispiel zu den Menschenrechten). Wir können es nicht. Wir können Standort Europa werden – oder mitspielen. So oder so ist es die größte Kränkung seit der Kopernikanischen Wende: Damals mußten wir den Glauben opfern, im Zentrum der Schöpfung zu leben, und hinnehmen, daß unser Planet bloß ein Trabant der Sonne ist (am Arsch der Galaxis). Jetzt sehen wir auch auf Erden unser Bild von Zentrum und Peripherie vernichtet: Europa am Arsch auch der (irdischen) Welt. Norbert Elias sah die Zivilisation in Wellen von Europa ausgehen, er sah nicht, was jedes Kind aus der Wanne weiß: Wellen schwappen zurück. Da sind die asiatischen Workaholics und Über-Ich-Riesen! Indes wir zu postmaterialistischen Super-Hedonisten mutiert sind. Kurz, zu einer aussterbenden Spezies, deren Nachwuchs, statt sich im Kampf ums Dasein zu üben, lieber Chaostage und Liebesparaden macht. Als die letzte Parade dem Brandenburger Tor und Untergang des Abendlandes entgegenzog, wer stand wohl am Rand, knipste und grinste?

Und dieses Grinsen hielten wir für Höflichkeit. Sven Hillenkamp