Tansu Çiller im Clinch mit der Medienmacht

■ Die größten Medienkonzerne der Türkei wollen die Ministerin stürzen

Istanbul (taz) – Er wollte den „Blutsaugern der Nation“, die die stellvertretende Ministerpräsidentin und Außenministerin Tansu Çiller bloßgestellt hatten, eine Lektion erteilen. Mit einer MP-5 ballerte Hüseyin Vuran im Wolkenkratzer des Medienkonzerns Hürriyet nahe des Istanbuler Flughafens herum, fuhr mit dem Fahrstuhl in den 13. Stock, erschoß einen Angestellten und wollte die „Chefs“ killen, bevor er vom Sicherheitspersonal überwältigt wurde. Der Vorfall am vergangenen Montag könnte als Eskapade eines Verrückten abgetan werden – hätte nicht die herrschende politische Klasse just die Medien zu ihrem Hauptfeind erklärt.

Es ist noch keine zwei Wochen her, daß zuerst Kriminelle die Studios der privaten Fernsehanstalt Flash TV verwüsteten und einen Tag später auf Anordnung der Regierung mehrere Hundertschaften Polizei die Sendeanlagen des Fernsehens demontierten. Offensichtlicher Grund war ein Telefoninterview, in dem die Außenministerin Çiller der Korruption bezichtigt wurde. Oppositionelle linke und kurdische Printmedien waren stets Opfer von Polizeirazzien und Bombenanschlägen. Heute gehören die beiden führenden Medienkonzerne der Türkei, die Hürriyet- und die Sabah-Gruppe, zum Feindbild der Politik, weil sie tagtäglich die islamistisch-konservative Koalition attackieren.

Tansu Çiller ging vergangene Woche zum Angriff über, indem sie die beiden Konzerne beschuldigte, sie hätten umgerechnet 60 Milliarden Mark Kredite und Beihilfen vom Staat kassiert. Offenbar fiel ihr irgendwann auf, wie absurd diese Summe ist – auf einer Kundgebung vergangenen Samstag in Istanbul sprach sie nur noch von 424 Millionen Dollar, die Hürriyet, und 200 Millionen Dollar, die der Sabah-Konzern kassiert habe. Weil sie als Politikerin den Hahn zugedreht habe, hätten die Medien ihr den Krieg erklärt.

Einmalig in der türkischen Pressegeschichte reagierten die auflagenstärksten türkischen Tageszeitungen Sabah und Hürriyet mit offenen Briefen an Çiller, die auf Seite eins plaziert wurden. Sabah schreibt: „Unsere Zeitung hat Sie unterstützt, als Sie die Türkei in die Europäische Zollunion führen wollten. Unsere Zeitung hat Sie unterstützt, als Sie die Islamisten zur größten Gefahr erklärten. Jetzt verleumden Sie uns. Eine Politikerin, die solche Verleumdungen in die Welt setzt, wird davon erdrückt werden.“ Der offene Brief der Tageszeitung Hürriyet im Namen des größten türkischen Medienkonzerns mit über 8.000 Beschäftigten ist noch schärfer: „Seit zwei Jahren versuchen Sie uns mundtot zu machen. Mit allen Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, versuchen Sie, uns zu ersticken. Solche Unterdrückung hat es in der Geschichte der türkischen Republik nicht gegeben. Sie sagen, daß Sie die Türkei in die Europäische Union führen wollen, auf der anderen Seite sind Sie ein Feind der Medien und wollen die Türkei ins Mittelalter zurückführen.“

Fast sind die Medien in die Rolle von politischen Parteien geschlüpft, um die islamistisch-konservative Regierungskoalition zu stürzen. Womit niemand gerechnet hatte: Çiller geht das Risiko ein und erklärt den Mediengiganten den offenen Krieg. Es ist der Anfang vom Ende. Die letzten Zuckungen einer Frau, deren Paranoia maßgeblich die politischen Geschicke des Landes bestimmt. Ömer Erzeren