Keine Spur führt zum Bernsteinzimmer

In Potsdam wurde gestern das Mosaik der Öffentlichkeit vorgestellt, das wahrscheinlich Bestandteil des legendären Bernsteinzimmers ist. Plädoyer für die Rückgabe an Rußland  ■ Aus Potsdam Annette Kanis

Die gelassene Stimmung auf dem kleinen Bild wollte so gar nicht zur angespannten Atmosphäre im Saal des Potsdamer Polizeipräsidiums passen. Journalisten, Kameraleute und Fotografen drängelten sich um ein 55 x 70 Zentimeter großes Steinmosaik. Es soll ein Bestandteil des legendären Bernsteinzimmers sein. Gestern nun wurde es der Öffentlichkeit präsentiert.

Zwei sich liebkosende Paare in einer Sommerlandschaft – die Aufregung um das Bild, das Dienstag von der Potsdamer Polizei sichergestellt wurde, ist groß: Gehört das Mosaik zum seit dem Zweiten Weltkrieg vermißten Bernsteinzimmer?

Soviel ist gewiß: Das Steinmosaik aus dem 18.Jahrhundert ist keine Fälschung. Das ergaben Prüfungen durch Kunsthistoriker. Der Direktor der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, Burkhardt Göres, will sogar Flecken ausgemacht haben, die auf dem Original wie auf den verschiedenen Fotoreproduktionen an identischer Stelle zu finden seien. Auch ein zeitgenössisches Duplikat aus der venezianischen Werkstatt wird für unwahrscheinlich gehalten.

Jetzt werden die verwendeten Materialien – Steinchen, Holzrahmen und Naturharz – wissenschaftlich genauer überprüft. Eine Verbindung zum immer noch verschwundenen Rest des Bernsteinzimmers sieht Polizeidirektor Peter Schultheiß, der die Ermittlungen führte, jedoch nicht. Er stützt sich dabei auf die bislang noch nicht überprüfte Version des Bremer Notars, der das Bild im Auftrag eines Privatbesitzers verkaufen sollte. Danach sei besagtes Steinmosaik – im Bernsteinzimmer hingen insgesamt vier dieser Art – beim Transport des gesamten Kunstschatzes von Leningrad nach Königsberg im Jahre 1941 abhanden gekommen.

Es sei von den Bernsteinprunkwerken getrennt worden. Die vergangenen Jahrzehnte soll es in einem deutschen Wohnzimmer überlebt haben, bis schließlich der Erbe des ursprünglichen Besitzers sich – als er einen Fernsehfilm über das Bernsteinzimmer sah – darüber klar wurde, welcher Schatz eigentlich über dem Sofa seines Vaters gehangen hatte. Der bislang anonyme Erbe, der meint, er habe das Mosaik gutgläubig erworben, entschloß sich zum Verkauf und beauftragte einen bislang im internationalen Kunstgeschäft unerfahrenen Notar.

Während die Polizei Anfang des Jahres nach dem aus Potsdam gestohlenen Caspar-David-Friedrich-Gemälde „Ansicht eines Hafens“ fahndete, wurde sie auch auf das Steinmosaik aufmerksam. Gemeinsam mit einem Hitler-Selbstporträt, das sich als gefälscht herausstellte, sei es den verdeckten Ermittlern auf dem sogenannten grauen Markt für 2,5 Millionen Dollar angeboten worden, so Polizeidirektor Schultheiß.

Der Beamte nahm daraufhin Kontakt auf zu dem Anbieter. Videoaufnahmen, eine Fotomappe und Materialproben wurden den Ermittlern zugespielt und weckten Interesse, da Experten das Bild schon damals für echt hielten. Dienstag nachmittag schlug die Polizei in einer Bremer Anwaltskanzlei dann zu und beschlagnahmte das Steinmosaik. Die Ermittlungen gegen den Notar und den Besitzer des Bildes laufen. Oberstaatsanwalt Rüdiger Schmidt: „Wir haben ein historisch wertvolles Gemälde, und wir haben eine Reihe von Personen mit Erklärungsbedarf.“

Der Bremer „Kunstraub“-Experte und Osteuropaforscher Wolfgang Eichwede erklärte gegenüber der taz, er verfüge über Informationen, wonach der Transport des Bernsteinzimmers vom Katharinenpalais nach Königsberg der Angst deutscher Museumsleute geschuldet sei, es würde von interessierter Seite beiseite geschafft werden. Die vier damals verschwundenen Mosaiken könnten danach als „Restbeute“ eines vereitelten Kunstraubs interpretiert werden. Eichwede möchte, daß das Mosaik umgehend der Russischen Föderation zurückgegeben wird.

Die bisherigen polizeilichen Ermittlungen haben bei den zahlreichen Bernsteinzimmer-Schatzsuchern zu einem starken Adrenalinstoß geführt. Bernstein-Experte Hans Stadelmann aus Weimar beispielsweise ist nach wie vor überzeugt, die Zimmerverkleidung sei unterhalb des „Gauzentrums“ in Weimar zu finden. Er fordert verstärkte Unterstützung durch die thüringische Landesregierung.

Ob die Schatzsuche der Hypothese vom Land- oder Seetransport folgt, ob der Schatz auf dem Meeresgrund, in Thüringen oder in Bayern vermutet wird: Jedenfalls ist eine neue Runde im Bohren und Sprengen eingeläutet. Die Jäger können sich auf neue Indizien stützen.

Geo zitiert in ihrer jüngsten Ausgabe den Kunstdetektiv Clemens Toussaint. Dem Spürhund liegt die Kopie eines Verkaufsangebots vor. Eine kleine Bernsteinskulptur, der Kopf eines toten Kriegers, wurde bei Christie's in London offeriert. Acht solcher Köpfe schmückten das Bernsteinzimmer von Zarskoje Selo.