Gewaltsamer Tod eines selbsternannten Kalifen

■ Halil Ibrahim Sofu, der vor einer Woche von einem religiösen Killerkommando in Berlin erschossene „Kalif der islamischen Nation“, wurde zum Opfer einer Fatwa

Berlin (taz) – Der Leichnam des am Donnerstag voriger Woche im Berliner Stadtteil Wedding ermordeten „Kalifen der islamischen Nation“ wird heute in die Türkei überführt. Der 29jährige Halil Ibrahim Sofu war vor einer Woche in seiner Wohnung von einem Killerkommando erschossen worden. Drei maskierte Männer hatten nach Polizeiangaben gegen 0.45 Uhr die Wohnungstür eingetreten und sofort das Feuer auf den im Flur stehenden Sofu eröffnet. Von mehreren Schüssen getroffen, starb er noch am Tatort. Seine Familienangehörigen blieben unverletzt.

Ibrahim Sofu ist Rivalitäten innerhalb des „Verbandes der Islamischen Vereine und Gemeinden“ (ICCB) zum Opfer gefallen. Nach Berichten der türkischen Tageszeitung Hürriyet war am 4. Oktober 1996 in der Zeitschrift des ICCB eine Fatwa (ein Rechtsgutachten) veröffentlicht worden, in der Sofu zum Tode verurteilt wurde.

Laut Hürriyet wurde das Verdikt von Metin Kaplan, dem Sohn des ICCB-Gründers Cemaleddin Kaplan, ausgesprochen. Hauptsitz des ICCB – der bundesweit etwa 1.200 Anhänger haben dürfte – ist Köln. Sofu gehörte zum abtrünnigen Flügel der Organisation, die sich nach Cemaleddin Kaplans Tod vor zwei Jahren gespalten hatte.

Metin Kaplan hatte den Titel „Kalif“ vom Vater übernommen. Vor einem Jahr hatte sich aber auch Halil Ibrahim Sofu zum „Kalifen der islamischen Nation“ ernannt. Der Kalif war im Osmanischen Reich, dem Vorläuferstaat der Türkei, weltliches und geistliches Oberhaupt zugleich. Der Titel wird in islamischen Kreisen heute nicht mehr anerkannt.

Zwischen Metin Kaplan und Sofu war es nach Informationen der türkischen Tageszeitung zum Streit gekommen, nachdem Sofu ein Buch über Metin Kaplans Vater veröffentlicht hatte. Cemaleddin Kaplan war der religiöse Ziehvater Sofus.

Das Buch mit dem Titel „Die Demokratie ist das System des Teufels“ war zunächst in Auszügen in der ICCB-Zeitschrift veröffentlicht worden. Doch dann war es von Metin Kaplan, der die Darstellung seines Vaters kritisierte, verboten worden. Sofu soll daraufhin erklärt haben, wer das Buch verbiete, sei selbst ein Teufel. Daraufhin war die Fatwa ausgesprochen worden.

Die Berliner Polizei wollte sich gestern zum Stand der laufenden Ermittlungen nicht äußern. Das Landesamt für Verfassungsschutz führte den ICCB in seinem 1994 veröffentlichten Bericht über „Ausländerextremismus in Berlin“ als gewaltbereite Organisation auf. Ziel des ICCB sei die Errichtung eines islamischen Staates – nicht nur in der Türkei, sondern weltweit. Zur Durchsetzung seiner Ziele predigte Kaplan laut Verfassungsschutzbericht den Heiligen Krieg.

Cemaleddin Kaplan („Khomeini von Köln“) hatte stets die Fatwa des iranischen Ajatollah Chomeini gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie unterstützt. Zudem hatte er dazu aufgerufen, den türkischen Schriftsteller Aziz Nesin als „Gotteslästerer“ und „Ungläubigen“ zu ermorden. Grund war Nesins Initiative, Rushdies „Satanische Verse“ in der Türkei zu veröffentlichen. Dort selbst galt Kaplan, der „Khomeini von Köln“, als „Spinner“ mit begrenztem Einfluß.

Die Berliner Anhänger Sofus haben unterdessen einen neuen Kalifen gewählt. Dorothee Winden