Stiller Triumphator im Karriereherbst

Kahlschädel Ronaldo macht Ex-Loser Bobby Robson zum Sieger: Glücklicher FC Barcelona besiegt ängstliches Paris St. Germain mit 1:0 im Europapokalfinale der Pokalsieger  ■ Aus Rotterdam Bernd Müllender

In einigen Jahren werden sie beim FC Barcelona das offizielle Siegerfoto betrachten und sich wahrscheinlich einen Moment lang fragen, wer eigentlich bei jenem Triumph von Rotterdam ihr Coach war. Der fehlt nämlich auf dem Bild. Weil er zur Aufnahmeminute mitfühlig die Reihen der Enttäuschten von Paris St. Germain abschritt und jedem einzelnen der gegnerischen Spieler persönlich kondulierte. Seine Kicker hüpften verzückt herum, er stand nur mit gefaßtem Lächeln daneben. Die Kicker grabschten nach dem Cup, er sinnierte fingerknibbelnd aus der Ferne in die frische Abendluft.

Die Geschichte dieses Endspiels von Rotterdam ist die zweier erfolgreicher Heimkehrer aus Eindhoven. Der eine, der älteste Beteiligte, ist eben jener Bobby Robson (64), der englische Chefcoach des FC Barcelona. Bis tief in den Herbst seiner Karriere galt er als friendly loser: Sympathisch, immer grundfreundlich, immer Gentleman, aber notorisch erfolglos. Zwar hatte er in seiner britannischen Heimat mit Ipswich einmal (1981) den Uefa-Cup gewonnen, aber Landesmeister wurde er erst nach bald zwei Dutzend erfolgloser Anläufe 1993 in Eindhoven. Gleich darauf klappte es zweimal nacheinander beim FC Porto.

Der andere, Ronaldo Luiz Nazario de Lima, war mit 20 der Junior des Abends. Als sich der Glatzkopf mit dem biberbeißigen Lächeln eine Stunde nach dem Match durch die Menschenmassen Richtung Bus zu winden versucht, stellt sich ihm ein kleiner Mann in den Weg: „Super, Junge!“ lacht er ihn an und läßt die Augen leuchten. Ronaldo grüßt schüchtern lächelnd zurück zu seinem Gratulanten Frank Arnesen.

Der ist Manager des PSV Eindhoven und hatte den brasilianischen Nachwuchskicker Ronaldo 1994 nach Europa geholt. Ist damals in die Vorschußkritik geraten – wie man für einen 17jährigen über 10 Millionen Mark ausgeben könne. Zwei Jahre später, nach annähernd hundert Toren und den euphorischsten Huldigungen in zwei Jahren niederländischer Ehrendivision hat ihn Arnesen längst für mehr als das Doppelte und dennoch, wie es heute scheint, viel zu billig verkauft.

Heute sind Vereinswechselsummen jenseits der hundert Millionen im Gespräch, und die Szene spekuliert, ob der Weltspieler des Jahres 1996 und Dauertorschütze Ronaldo (zur Zeit 32 Ligatreffer in 35 Spielen) schon mehr als eine Million im Monat verdient oder erst nächstes Jahr, und ob es Mark sind, Gulden oder Dollar. Wie von höherer Regie geplant, entschied auch jener Ronaldo das Spiel. Entwischte einmal seinem unerbittlichen Gegenspieler Ngotty, suchte dessen foulende Beinschere, stürzte dramatisch und verwandelte den berechtigten Elfmeter eigenbeinig. Weder die Rakete aus dem Pariser Fanblock noch der bekennende Kiffer Bernard Lama im Tor konnten Ronaldo am Tor hindern. Beide flogen zu ungenau.

Ansonsten fiel Ronaldo („das wichtigste Spiel meiner Karriere“) bei seinem ersten Titelgewinn wenig auf. Aber allein die Existenz der Lichtgestalt aller Strafräume, sein Ruhm, seine Nähe, schien Paris vorsichtig zu machen, verunsicherte, raubte Zutrauen in die eigenen Kunstfertigkeiten. Die Franzosen hätten der erste Titelverteidiger werden können in der Geschichte dieses Cups. Sie wurden es nicht, weil sie selbst nicht daran zu glauben schienen. Verzettelten sich bei besten Gelegenheiten, wirkten mit jedem Meter Nähe zum Tor immer nervöser, zappeliger und schlossen ihre bisweilen ansehnlichen Kombinationen oft zu früh ab.

Enttäuschend die hochdekorierten Paris-Brasilianer Rai und Leonardo. So wurde das Match durch Barcas Abwehr-Haudegen geprägt: vom kurios kurzbeinigen, steif wirkenden Techniker Guardiola, von Abelardo, Sergi und Couto. Und vom Klasse-Mann Ivan de la Peña: „Der spielt den Fußball seines Lebens derzeit“, lobte Robson seinen kurzwüchsigen Zweitglatzkopf im Team.

Geprägt wurde das Finale im kurioserweise nicht ganz gefüllten Stadion de Kuip von der Bürokratenversammlung Uefa: Die hat nämlich nicht nur ein bizarres Faible für pausenlos bombastöses Marsch-Fanfaren-Trompeten-Geschmetter, sondern auch die raffinierte Regel ausgehirnt, wonach beide Teams, so sie in ähnlichen Trikotagen zu spielen pflegen, beide im Ausweichleibchen spielen müssen, auch wenn sie sich untereinander einigen würden. So trat Barca in merkwürdigem und augquälendem Türkis an.

Bobby Robson stand sehr viel später redselig im Kreis seiner reportierenden Landsleute und bewies seine lange Lebenserfahrung für die Leiden von Verlierern. „Großes Mitgefühl für die maßlose Enttäuschung“ seines Abwehrstars Laurant Blanc habe er, weil er ihn aus seinem starstrotzenden Kader hat streichen müssen. Aber der neue Siegertyp Robson kennt in eigener Sache jetzt auch das positive thinking: Bis Mittwoch abend war er, in der Liga nur Zweiter hinter Erzfeind Real Madrid, auf der Abschußliste seines egozentrischen Clubchefs Nuñez. Auch Jupp Heynckes ist im Gespräch. Gewesen? Jetzt ist Robson, der neuerdings notorisch Erfolgreiche, Europapokalsieger. „Well“, smilte er, „mal sehen, was die Herren im Präsidium nun tun werden.“

Paris St. Germain: Lama – Fournier (58. Algerino), Ngotty, Le Guen, Domi – Leroy, Guerin (69. Dely), Rai, Cauet – Loko (67. Pouget), Leonardo

Tor: 1:0 Ronaldo (38./Foulelfmeter)

FC Barcelona: Baia – Ferrer, Abelardo, Couto, Sergi – Figo, Popescu (46. Amor), Guardiola, de la Peña (84. Stoitschkow), Luis Enrique (88. Pizzi) – Ronaldo