Nofretete am Oranienplatz

Der Karneval der Kulturen geht zum zweiten Mal auf die Straße. Über 250.000 ZuschauerInnen beim Zug durch Kreuzberg erwartet  ■ Von Kim Kindermann

Märchenhafte Fabelwesen, Hexen, Drachen, Krokodile und die Königin Nofretete werden sich am Sonntag zu den wilden Klängen des Sambas, Rumbas sowie zu afrikanischen Trommelrhythmen ihren Weg durch Kreuzberg tanzen. Dabei geht es einmal um die ganze Welt: von Brasilien über Korea, Indien bis nach Rußland und Vietnam. Alles Gründe, den Karneval der Kulturen auf keinen Fall zu verpassen. Die Kostüme werden so unterschiedlich sein wie die Themen. Oft schreiend bunt und vielfältig wie in den tollsten Träumen.

Insgesamt 69 Formationen und mehr als 2.700 Akteure werden ihre Kunst zur Schau stellen. Sie alle feiern die verschiedenen traditionellen und modernen Kulturen, die zumeist schon lange in dieser Stadt zu Hause sind: ein Multikultispektakel, das für ein Klima der Aufgeschlossenheit gegenüber Fremden förderlich sein soll. Immerhin leben in Berlin über 430.000 ImmigrantInnen aus mehr als 180 Ländern.

Trash for Fantasy oder die Recycling-Kostüme von Chusa Lanzuela zeigen mit ihren fantasievollen Kreationen, wie das Problem Müllentsorgung künstlerisch aufgearbeitet werden kann. Internationale Unterstützung erhalten sie von „Masquerade 2000“ aus England, die beim Londoner Notting Hill Karneval 1996 zu den Hauptgewinnern der begehrten Wettbewerbspreise zählten.

Organisiert wird der Karneval von der „Werkstatt der Kulturen“. Obwohl sich der Berliner Karneval der Kulturen am Vorbild des Londoner Notting Hill Karnevals oder des in Rotterdam stattfindenden Zomerkarnevals orientiert, betonen die Organisatoren die Neuartigkeit ihrer Veranstaltung: „Der Londoner Karneval ist aus nur einer Kultur – der westindischen – gewachsen, in Berlin sind von Anfang an unterschiedliche Ethnien beteiligt gewesen“, erklärt Anett Szab.

Wie groß der Zuspruch ist, beweisen die Besucherzahlen des Vorjahres: Über 50.000 Menschen wohnten dem Spektakel bei, dieses Jahr werden bis zu 250.000 erwartet.

Und damit auch wirklich alle auf ihre Kosten kommen, wird nicht nur am Sonntag gefeiert, sondern schon ab heute: Ein dreitägiges Straßenfest am Anhalter Bahnhof sorgt ab dem frühen Abend mit Musik und allerlei kulinarischen Spezialitäten für gute Stimmung. Der Jugendzirkus Cabuwazi organisiert morgen extra für Kinder einen Umzug, der ab 14 Uhr mit viel Tohuwabohu von der Puschkinallee zum Görlitzer Park zieht, wo dann noch weitergefeiert wird.

Höhepunkt aber ist die Karnevalskarawane, die am Sonntag vom Mariannenplatz über Wiener und Reichenberger Straße zieht und am Oranienplatz endet. Ausklingen werden die tollen Tage am Pfingstsonntag mit großen Abschlußparties in der Kulturbrauerei und im Tempodrom, wo auf den verschiedenen Bühnen die einzelnen Gruppen nochmals ihr Können beweisen und man zu den Rhythmen der langen „Nacht der Soundsystems“ rocken kann.

Lange war nicht klar, ob der Karneval der Kulturen stattfinden kann. Schuld daran war die finanziell ungeklärte Lage. Erst letzte Woche bekamen die Veranstalter eine Zusage von der Klassenlotterie über 150.000 Mark. Die Kosten sind damit allerdings noch nicht gedeckt. Die „Werkstatt der Kulturen“ ist daher immer noch auf der Suche nach Sponsoren.

Obwohl die Politiker immer wieder gerne mit Berlins kultureller Vielfalt werben, war die Bereitschaft, eine Veranstaltung wie den Karneval der Kulturen mit finanziellen Mitteln zu unterstützen, gering. „Wir erwarten von der Stadt Berlin“, formuliert Anett Szab von der „Werkstatt der Kulturen“ ihre Forderungen, „daß sie diesen Event nicht nur verbal, sondern auch finanziell unterstützt“. Und gerade angesichts des Europäischen Jahres gegen Rassismus, Fremdenhaß und Antisemitismus wäre ein größeres Engagement wünschenswert gewesen, das über die symbolische Übernahme der Schirmherrschaft durch die Ausländerbeauftragte Barbara John hinausgegangen wäre.

Daß trotz Rotstift-Politik gefeiert wird, liegt in erster Linie am großen persönlichen Einsatz der Akteure. Monatelang dauern die Vorbereitungen für die Umzüge. Prachtvolle Kostüme werden genäht, Musik wird komponiert und eingeübt. „Einige arbeiten sogar Tag und Nacht“, berichtet Brigitte Walz, eine der Hauptorganisatorinnen des Kultur-Karnevals, „um mit schönen Formationen dabei zu sein.“

Daß der Karneval der Kulturen ansteckend ist, beweisen die Städte Bielefeld, Wien, Luxemburg und Zürich: ermutigt durch das Berliner Beispiel feiern sie dieses Jahr ihren ersten multikulturellen Karneval.