Die Bonner Kurpfuscher

■ Die Politik der Koalition verliert sich im Klein-Klein

Reformdebatte? Da war doch was. Noch vor zwei Wochen hatte man bei allem taktischen Geplänkel den Eindruck, daß sich die PolitikerInnen in Bonn wenigstens um einen Teil der Zukunftsaufgaben kümmerten. Neugestaltung des Steuer- und Rentensystems, Reformen auf dem Kapitalmarkt, mehr Beweglichkeit, damit Millionen Arbeitslose eine Chance bekommen. Doch davon ist nichts mehr zu spüren. Finanzminister Waigel wird von den eigenen Sünden des vergangenen Herbstes eingeholt – Löcher überall. Und Koalitionäre verteilen finanzpolitische Heftpflästerchen, die die Notwendigkeit für einen grundlegenden Gesundheits-Check verdecken.

Verdecken vor allem, weil die Protagonisten bei ihren Vorschlägen für die Sanierung des Haushalts 97 so tun, als ob es eine Reformdebatte gar nicht gäbe. Da werden munter Anteile an einem Staatskonzern wie der Telekom auf dem Markt angeboten, obwohl man Investoren anderes versprochen hatte. Das schafft Vertrauen in staatliche Politik. Da werden die Goldreserven der Bundesbank plötzlich zur Kriegskasse des Finanzministers erklärt, mit der man Investitionsvorhaben wie den Eurofighter finanzieren könnte. Eurofighter statt EURO-Fighter.

Weder Koalition noch SPD scheinen gewillt, die notwendigen Korrekturen im Haushalt 1997 vor der Folie der geplanten großen Reformen zu diskutieren. Wenn die Lohn- und Einkommenssteuern ohnehin gesenkt werden sollen und die indirekten Steuern steigen sollen, warum fängt man nicht damit an? Steigt ein in die große Reform und erledigt das Loch 1997 gleich mit?

Aufhören! möchte man dem Bonner Zirkus zurufen. Den kommenden FDP-Parteitag kann man ignorieren, die wollen ohnehin grundsätzlich die Zukunft diskutieren. Die unerklärte SPD-Kanzlerkandidatenkür kann man einfach links liegen lassen, die Punktrichter sind ohnehin noch nicht da.

Über vier Millionen Menschen suchen hierzulande einen Job. Die Bundesbank schreibt in ihrem jüngsten Monatsbericht, daß 1996 die Reichen in Deutschland reicher und die Arbeitenden ärmer geworden sind. Ändert der Verkauf der Telekom-Aktien oder der Goldreserven etwas daran? Wenn nicht, ist er keine adäquate Antwort auf die Krise. Management by Wegschieben? Das muß aufhören. Sofort. Hermann-Josef Tenhagen