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Bloß ein Vitrinchen für Schopenhauer

Edle Einfalt, stille Größe: Gestern wurde die Deutsche Bibliothek in Frankfurt eröffnet. Genügend Platz für 1.000 Neuzugänge pro Tag. Doch nur einen Steinwurf entfernt stehen unzählige Bücher am Rande der Obdachlosigkeit  ■ Von Henning Burk

Ein städtebaulicher Gewinn, unübersehbar und doch von beeindruckender Schlichtheit: der Neubau der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main. Ein Ort für 6,5 Millionen Bücher, ein hochmoderner Speicher des elektronischen Wissens, weltweit vernetzt. Jeden Tag kommen 1.000 neue Bücher hinzu, für das nächste halbe Jahrhundert ist Platz genug.

Der neue Gebäudekomplex ist – Gott sei Dank – kein imperialer Protzbau, wie ihn die Franzosen mit ihrer Nationalbibliothek errichtet haben, sondern ein zweckrationales Gebäude, das durch föderale Bescheidenheit glänzt. Allerdings blüht im Schatten dieser vom Bund zur Schau gestellten stillen Größe, nur zwei Kilometer weiter, die Bibliotheksmisere. Der Stadt- und Universitätsbibliothek, seit Jahren auf dringender Suche nach Erweiterungsräumen, wird die Nutzung des alten Baus der Deutschen Bibliothek verweigert. Der traditionsreichen Frankfurter Bibliothek, eine der fünf größten in Deutschland, droht das traurige Schicksal einer Provinzleihbücherei.

Wer sich in der Bockenheimer Landstraße 102 über die Hintertür durch den Küchendampf des Literaturhaus-Cafés in den obersten Stock vorgekämpft hat, kennt die skandalöse Lage. Forscher aus aller Welt reisen an, um in den ausgelagterten Archivräumen der Stadt- und Universitätsbibliothek die Nachlässe berühmter deutscher Philosophen zu studieren. Zum Beispiel den Arthur Schopenhauers. 700 Bände seiner Privatbibliothek haben den Bombenangriff 1943 überstanden. Sie enthalten eine Fülle bissiger Randnotizen, mit denen er Fichte, Schelling, die idealistischen Schulphilosophen seiner Zeit, als denkfaule Esel beschimpft hat, die nur leeren Wind produziert hätten. In einer kleinen Vitrine hat man die Gebrauchsgegenstände des weltberühmten Denkers aufgereiht wie Devotionalien. Der Versuch, sein Leben auf engstem Raum anschaulich zu machen, wirkt rührend hilflos. Schopenhauer hätte mehr verdient. Schade.

Wer in die Nachlässe der legendären Meister der Frankfurter Schule, von Horkheimer, Marcuse, Löwenthal, einsehen will, kann das im Dachgeschoß des Literaturhauses tun. Leider nur an einem kleinen Tisch in der Teeküche.

Noch schlimmer steht es mit dem Lennartz-Archiv. 60 Jahre hat der Lexikograph und Feuilletonist Franz Lennartz wie ein Besessener bis zu 16 Stunden am Tag Zeitungsausschnitte, Zeitschriften, Fotos und andere, heute weltweit gesuchte Materialien zur Weltliteratur gesammelt. Er wertete sie aus für seine berühmten Literaturführer. Ein Schatz, um den Literaturarchive die Frankfurter Universitätsbibliothek beneiden. Nun steht dieser bedeutende Nachlaß auf dem Speicher, für Studenten und Wissenschaftler so gut wie unerreichbar.

Auch in der Handschriftensammlung, die unter anderem Manuskripte von Börne und Gutzkow, den Dichtern des jungen Deutschlands, besitzt, ist kaum Platz, um diese angemessen zu verwalten.

Völlig indiskutabel sind die Zustände bei der Buchausleihe. Hier zeigt sich seit Jahren, was die Verantwortlichen von Stadt und Land von wissenschaftlicher Arbeit halten. Offenbar ist für sie eine Universitätsbibliothek nicht mehr als eine x-beliebige Leihbibliothek. Seit Jahren platzen die Magazine aus allen Nähten. Die Bücher werden irgendwie gestapelt, sogar auf der Klimaanlage, was ihnen überhaupt nicht gut tut. Neuerworbene Bücher finden überhaupt keinen Platz mehr.

Sie werden gleich in Kartons verpackt und ausgelagert. Ein Außendepot mit 1,5 Millionen Bänden muß zum 31. August geräumt werden. Niemand weiß, wohin damit. Das Land hat die hessische Speicherbibliothek in Arolsen angeboten, 200 Kilometer von Frankfurt entfernt. Verständlich, daß Studenten und Professoren bei jeder Bestellung zittern, ob das Buch überhaupt verfügbar ist, auf das sie warten.

Die Zustände in der Stadt- und Universitätsbibliothek sind deshalb so absurd, weil die Räume der alten Deutschen Bibliothek völlig leerstehen. 16 Stockwerke hoch ist allein das Magazingebäude, bautechnisch zu nichts anderem zu gebrauchen als zu Bibliothekszwecken. Doch der Bund, dem es gehört, stellt für die Nutzung unannehmbare Forderungen: Die Renovierungskosten hat die Unibibliothek zu tragen bei einem Mietvertrag von nur anderthalb Jahren. Der Oberfinanzdirektion scheint einzig daran gelegen, möglichst viel Geld aus dem Objekt zu schlagen.

Der Clou bei der Geschichte: Der Gebäudekomplex wurde einst von der Stadt Frankfurt zu großen Teilen finanziert und dem Bund geschenkt. An solch unsittlichem Verhalten erkennt man, welch geistigen Tiefstand die Geldgier Bonns inzwischen erreicht hat, auch wenn man eine Nationalbibliothek von europäischem Format finanziert.

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