Wird die Stadt überrollt?

Leipzig will Anteile seiner Stadtwerke verkaufen – offiziell aus Angst vor dem kommenden Energiewirtschaftsgesetz der Bundesregierung  ■ Von Ilka Schröder

Berlin (taz) – Die Leipziger Stadtwerke sollen nach dem Willen der dortigen Stadtverwaltung unter SPD-Bürgermeister Hinrich Lehmann-Grube zu vierzig Prozent an einen privaten Anteilseigner verkauft werden. Die endgültige Entscheidung wird Mitte Juli vom Stadtrat getroffen. Als Grund gibt der Pressesprecher der Stadt, Reinhard Bohse, die von der Bundesregierung beabsichtigte Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes an.

„Mit der Liberalisierung des Energiemarktes in zwei Jahren laufen die Leipziger Stadtwerke Gefahr, von den Stromkonzernen überrollt zu werden. Deshalb suchen wir jetzt finanziell starke Bündnispartner.“

Bisher sind die regionalen Energiemonopole gesetzlich durch das Energiewirtschaftsgesetz gesichert. Damit haben die Kommunen das alleinige Recht auf die Stromversorgung vor Ort und sind keinerlei Konkurrenz ausgesetzt. 1999 aber soll die vor der zweiten Lesung im Bundestag stehende Novellierung des Gesetzes in Kraft treten. Die Vorlage zielt auf eine Liberalisierung des Energiemarktes ab, indem alle Anbieter ihren Strom überall verkaufen dürfen. Welche Folgen das hat, ist nicht klar. Das Gesetz ist noch keineswegs ausformuliert und auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag umstritten. Etwaige Änderungen werden auch vor der Sommerpause des Parlaments nicht mehr im zuständigen Ausschuß diskutiert.

Die Leipziger Stadtverwaltung befürchtet trotzdem eine massive Bedrohung durch die umliegenden Stromkonzerne. Deshalb sollen die Stadtwerke mit finanzstarken Bündnispartnern mehr Effizienz erlangen. Die Leipziger Bündnisgrünen hingegen sehen als Hauptmotiv die Profilierungsinteressen Bürgermeister Lehmann-Grubes. Der nämlich sei noch bis Ende nächsten Jahres im Amt und wolle bis dahin sein Prestigeobjekt pflegen. Die Vorlage der Stadtverwaltung betone einseitig die Vorteile des Verkaufs, statt sie gegen die Nachteile abzuwägen. So tauchten im Begründungsteil des Vorschlages Argumente auf, die sich nur allgemein auf Stadtwerke beziehen, nicht aber speziell auf die Leipziger Situation eingehen. Außerdem werde mit keinem Wort über mögliche Alternativen nachgedacht.

Die Leipziger Grünen selbst legten eine Stellungnahme vor, die sich gegen einen Verkauf ausspricht. Für übereilt hält auch die bündnisgrüne Bundestagsfraktion den geplanten Verkauf. Denn nach einer Anhörung in Bonn am Montag vergangener Woche will die Bundesregierung die Novellierung nämlich noch einmal überdenken. Denn für die Gesetzesänderung besteht Zustimmungspflicht des SPD-dominierten Bundesrates. Um eine zu erwartende Schlappe durch eine erneute Ablehnung zu verhindern, will die Bundesregierung die Novellierung jetzt überarbeiten. Die Interessen der Stadtwerke als kommunale Alleinabnehmer sollen stärker berücksichtigt werden.

Zwar sind sich alle soweit einig, daß mindestens fünfzig Prozent der Anteile in den Händen der Stadt bleiben. Aber ob wie vorgeschlagen vierzig Prozent verkauft werden, ist noch nicht entschieden. Ab einem Viertel der Anteile nämlich hat der Teilhaber eine Sperrminorität und kann so Entscheidungen der Stadtverwaltung blockieren. Die Bündnisgrünen im Leipziger Stadtrat bezweifeln, daß dann noch ausreichend Einfluß auf regionalpolitische Ziele wie BürgerInnennähe und Umweltfreundlichkeit genommen werden kann.