Tudjmanistan hat die Wahl

Am Sonntag sind Präsidentschaftswahlen in Kroatien. Seit 1991 führt Franjo Tudjman die Nation im Stil eines Feudalherrn. Seine Wiederwahl gilt als sicher  ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

Die Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag Franjo Tudjmans sollten ein glanzvolles gesellschaftliches Ereignis werden. Wer Rang und Namen hatte, war im Mai zum Fest gerufen. Die Eleganz der Damen knüpfte an große Traditionen der „Agramer Gesellschaft“ vor dem Ersten Weltkrieg an. Und doch wollte nicht die rechte Stimmung aufkommen. Denn der angeblich an einem „Magengeschwür“, wahrscheinlich aber an Krebs erkrankte Franjo Tudjman war nicht bei Laune. Viele Eingeladene hatten abgesagt: Ein privates Fest sollte kein Staatsakt sein, erklärte zum Beispiel Drazen Budisa, bei den vorigen Präsidentschaftswahlen Tudjmans Gegenkandidat. Und die Oppositionspresse, wie die satirische Wochenzeitung Feral Tribune, weidete den „Aufmarsch der Parvenues“ genüßlich aus. Tudjman leite den Staat „Tudjmanistan“ wie seinen persönlichen Besitz.

Ein Riß geht durch die kroatische Gesellschaft. Tudjmans Zug zur Selbstüberhöhung wird von großen Teilen der städtischen und gebildeten Mittelklasse sowie den Intellektuellen als grotesk angesehen. Und da zudem die politische Organisation Tudjmans, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), sich nicht als Partei, sondern als „Bewegung“ definiert, sollte es eigentlich günstige Ausgangsbedingungen für eine Oppositionsbewegung geben. Denn die HDZ nennt sich zwar antikommunistisch, bedient sich aber ungeniert der im ehemaligen Jugoslawien herkömmlichen Herrschaftstechniken: Sie durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche und benutzt die gesellschaftlichen Organisationen als Transmissionsriemen. Wer in der Armee und der Polizei, der Justiz oder auch nur im Schulsystem etwas werden will, muß in „die Partei“. Wer wirtschaftlich profitieren will, stellt sich mit ihr gut. „Kroatien liegt heute irgendwo in der HDZ“, spöttelt der Schriftsteller Miljenko Jergovic.

Und trotzdem ist es Tudjman gelungen, populär zu bleiben. Mit seinem politischen Weg – Partisanengeneral, Leiter des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung in den sechziger Jahren, Aktivist der Demokratiebewegung des „Kroatischen Frühlings“ 1971, Wegbereiter der Unabhängigkeit es Landes – kann sich nämlich nach wie vor ein großer Teil der Gesellschaft identifizieren. Die Allüren werden ihm von seinen Anhängern gern verziehen, der selbstherrliche Umgang mit der Macht und die offene Bereicherung des Tudjman-Clans zieht sie eher an, als sie abzustoßen. Und selbst manche Kritiker beschleicht heimliches Unbehagen, wenn sie an die Zeit denken, in der Tudjman nicht mehr sein wird.

Zwar wurde das moderne, das nationalbewußte Kroatien im „Kroatischen Frühling“ 1971 von vielen geschaffen. Die Inhalte der Demokratiebewegung von damals, die im Geiste des Prager Frühlings 1968 den Weg zur Freiheit und Selbstbestimmung öffnen wollte, ist von Tudjman mit Beginn des Krieges auf das nationale Selbstbestimmungsrecht verkürzt worden. Was Tudjman auch über seine engere Anhängerschaft hinaus hoch angerechnet wird, ist sein taktisches Geschick. Das strategische Denken des Generals bewahrte die Nation seit 1991 vor einer möglicherweise vernichtenden Niederlage. Unbeirrt von Kritikern aus den eigenen Reihen riskierte Tudjman nämlich damals nicht den totalen Krieg.

Er brachte Bauernopfer. Die Stadt Vukovar in Ostslawonien war eines davon. Mit dem Blick auf das Ganze entschied sich Tudjman nach der serbischen Eroberung eines Drittels des Staatsgebietes dafür, erst einmal den Reststaat zu konsolidieren, eine verläßliche Armee aufzubauen, internationale Anerkennung zu erreichen. Er stimmte der Stationierung von UN-Truppen zu, um dann Schritt für Schritt Terrain zurückzugewinnen. 1995 eroberten kroatische Truppen fast das gesamte Staatsterritorium zurück. Und die Gebiete um Vukovar werden zur Zeit friedlich in den kroatischen Staat reintegriert.

Angesichts dieses Erfolges hat die anhaltende Kritik seiner jetzt oppositionellen ehemaligen Weggefährten an der „Fassadendemokratie“ nicht die Durchschlagkraft entwickeln können, um die Machtfrage zu stellen. Die selbst im rechten Lager umstrittene Politik Tudjmans in Bosnien konnte den Präsidenten nicht aushebeln. Inzwischen ist der Öffentlichkeit durchaus bewußt, daß der von Kroatien verfolgte Kurs der Aufteilung Bosniens im Zusammenspiel mit Milošević der Grund für die Zerstörung Mostars und anderer Teile Bosnien- Herzegowinas ist. Die Verbrechen, die Kroaten seit 1993 in Bosnien begangen haben, werden aber weit über die Anhängerschaft Tudjmans hinaus mit Schweigen übergangen. Der Protest dagegen reduziert sich auf den Kern der Opposition.

Und steht Tudjman auf schwankendem Boden. Die HDZ konnte niemals die 45-Prozent-Marke überwinden. Auch bei den vorigen Kommunalwahlen blieben die großen Städte mehrheitlich oppositionell, sogar angesichts der vermuteten Wahlmanipulationen zugunsten der Regierungspartei. Es gelang Tudjman jedoch, das Oppositionsbündnis in der Hauptstadt Zagreb mit (auch finanziellen) Angeboten an einzelne Abgeordnete zu spalten und zu verunsichern. Den Oppositionsparteien und auch den Gegenkandidaten für die Präsidentschaftswahl, dem Sozialdemokraten Zdravko Tomac und dem Sozialliberalen Vlado Gotovac, ist es bisher nicht gelungen, ihr Potential voll auszuschöpfen. Denn der Präsident und seine Partei achten sorgfältig darauf, daß die Opposition sich politisch nicht entfalten kann. Abgeordnete werden eingeschüchtert, die rabiaten Anhänger Tudjmans schrecken auch vor Anschlägen auf die Gegenkandidaten nicht zurück, der Geheimdienstapparat ist heute wieder allgegenwärtig.

Die Manipulation ist nach der Kritik des Auslands an der Pressepolitik des Regimes subtiler geworden. Tudjman fühlt sich sicher. Er braucht nicht einmal mehr einen Wahlkampf zu führen. Nur einige Plakate zeigen sein Bild und die Worte: Franjo Tudjman, Präsident.