■ Ohne Worte: Rosen, Netzhemden und Sendboten
: Berührungspunkte im Biergarten

Unlängst saß ich mit einem lieben Freund in einer warmen Frühsommernacht in einem homosexuellen Straßencafé beim trauten Plausch. Wir hatten ins Kino gehen wollen. Als Ersatz für die ausverkaufte Vorstellung bot sich nun das wirkliche Leben an: An unseren Tisch gesellte sich ein Ehepaar mittleren Alters. Sie legte eine Rose vor sich auf den Biergartenklapptisch. Er griff ein wenig lallend in unsere zarte Unterhaltung ein. Wir verstanden seine mühselig hervorgebrachten Worte nicht recht und hielten ihn für betrunken. Dann begann das Paar, seinerseits Kommunikation zu pflegen, und zwar in Gebärdensprache. Nicht betrunken, sondern gehörlos, korrigierten wir unsere Einschätzung und schämten uns ein wenig, und ich war stolz, meine bescheidenen Gebärdensprachkenntnisse im wirklichen Leben erproben und demonstrieren zu dürfen. Dies rief denn auch umgehend Begeisterung hervor und führte zu einer turbulenten Debatte: Er erkannte uns als Homosexuelle. Wir erkannten ihn als unwissend in bezug auf die Tatsache, daß es ihn samt Gattin an einen Homosexuellentreffpunkt verschlagen hatte. Er brachte gestenreich seinen Ekel zum Ausdruck, den ihm die Vorstellung körperlicher Nähe der besonderen Art zwischen Männern bereite, um dann die körperliche Nähe zwischen Männern seiner Art zu suchen, indem er meinen Oberarm mit geübter Handwerkerhand schraubstockartig umspannte und wieder losließ, um abschließend seine Faust schmerzhaft freundschaftlich darauf niedersausen zu lassen. Das war seine Art der Entschuldigung für den Ekel, den er daraufhin erneut zum Ausdruck brachte, entschuldigte und so weiter. Die Gattin saß derweil mir gegenüber und ließ mit bedauerndem Blick die flache rechte Hand über dem Handgelenk der linken kreisen, was auf angenehmere Weise „Entschuldigung“ bedeutet.

Der Kellner kam, und der Mann bestellte lallend und leiernd ein Bier, und der Kellner hielt den Mann für betrunken. Damit, so viel war mittlerweile klar, lag er auch überhaupt nicht falsch. Der Mann wandte seine Aufmerksamkeit erneut uns zu. Er wollte es genau wissen: ob wir miteinander schliefen. „Wir schlafen mit vielen Männern!“ gelang es mir zu gebärden. Damit lag ich nach Punkten vorn. Vom Entsetzen angeschlagen, schwieg der Homophobe für Momente. Ängstlich entgeistert blickte die Frau in die Runde. Hilflos versuchte sie, ihren Cholerikus zu beschwichtigen, und mußte sich fragen, was geschehen würde, wenn ihr dies nicht gelänge. Als es ihr nicht gelungen war, schenkte sie mir schuldbewußt ihre Rose, was ihren Mann erst recht erzürnte. Dennoch, nach jedem wütenden Anwurf folgte die schmerzhafte Entschuldigung – bis ein zweiter Kellner endlich das Bier brachte. Der aber trug, der lauen Sommernacht zur Ehre, obenrum nur ein Netzhemd, durch das hindurch der Mann ihn mit liebevoller Feindseligkeit in die sich abzeichnende Brustwarze kniff. Der Kellner wurde böse und hielt den Mann für betrunken. Ich hielt den Mann inzwischen für jemanden, der sich wenig Lorbeeren im Kampf um Verständigung zwischen Minderheiten verdiente. Dann aber fiel mir ein, daß es diskriminierend sein könnte, von jemandem zu verlangen, er möge ein perfekter Sendbote seiner Stigmakategorie sein. Außerdem erschienen mir die beiden irgendwie durchaus liebenswürdig. Und er war unglaubwürdig mit seinem verräterischen Interesse an männlichen Oberarmen und Brustwarzen. Die Rose habe ich noch lange aufbewahrt. Sie galt mir auch vertrocknet als Symbol der vorbehaltlosen Nächstenliebe. Holger Wicht