„Die Politik in Bonn ist paralysiert“

■ Gustav Greve von Arthur D. Little will den deutschen Staat fit für die Zukunft machen

Gestern abend haben sich Berater von sechs international tätigen Unternehmensberatungen zum ersten Mal mit Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von CDU, FDP, SPD und Grünen getroffen. Gustav Greve (46) hat das Treffen initiiert, um mit ihnen ein „Modell Deutschland 21“ zu entwickeln (siehe taz von gestern).

taz: Was hat Sie zu der Initiative veranlaßt?

Gustav Greve: Wir haben einfach das vordergründige Interesse, daß die Wirtschaft nicht wirklich in eine Krisensituation kommt und wir ein Marktproblem kriegen. Deswegen muß man Kernprobleme benennen.

Welche sehen Sie da?

Laut Kreditwesengesetz muß zum Beispiel eine Bank das Häuschen von Oma bei einer Unternehmensgründung höher bewerten als Know-how und Berufserfahrung. Oder: Firmen, die Arbeitnehmer am Unternehmen beiteiligen, werden von den Rating-Agenturen niedriger eingeschätzt als Unternehmen, die das nicht tun. Alle Dinge zusammen haben eine große Wirkung.

Was wollen Sie tun?

Wir könnten für die Politik Gesetzesinitiativen vorbereiten oder vielleicht Zukunftsszenarien erarbeiten, zwischen Politik und Unternehmen, Wissenschaft und Medien eine Ideenbewegung lostreten. Die Unzufriedenheit mit der Paralysierung der Bonner Prozesse ist inzwischen so groß, daß wir eben auch was tun müssen.

Sie sprechen in ihrem Modell Deutschland 21 davon, daß die Arbeitslosenzahlen auf 1,5 Millionen sinken müssen. Wie wollen Sie das schaffen?

Wir müsssen wieder über Ziele diskutieren. Deswegen müssen wir Meilensteinverträge wie über den Euro schließen. Da werden das erste Mal Kriterien aufgestellt, an denen Politiker gemessen werden können. Ein Ziel könnte eben sein, die Arbeitslosigkeit auf ein Minimum zu senken.

Das wollen alle. Aber wie schafft man Arbeitsplätze?

Das ist die Frage aller Fragen. Ich weiß nur, daß zwischen Ist und Soll eine große Lücke klafft. Deswegen dürfen sich die bekannten Maßnahmen nicht gegenseitig paralysieren oder neutralisieren. Wenn man zum Beispiel hört, daß RWE mit 3,5 Milliarden Mark Steuererleichterungen rechnen kann, weil sie ihre Endlager im Jahr 2030 bereits heute von der Steuer absetzen und gleichzeitig verkündet wird, die Bundesanstalt für Arbeit kriegt zwei Milliarden weniger.

Die Unternehmensberatungen sind doch mitverantwortlich für die hohen Arbeitslosenzahlen und die gesellschaftliche Misere.

Natürlich. Wer das leugnen wollte, ist unverantwortlich. Es gibt eben viel Versagen im unternehmerischen Handeln.

Kommen Sie als Berater nicht in die Bredouille: Einerseits empfehlen Sie Unternehmen das Rationalisieren, andererseits wollen Sie mehr Arbeitsplätze.

Wir bauen viel lieber auf, als daß wir einreißen. Wir müssen nur Rahmenbedingungen entwickeln, Arbeitsplätze wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Nehmen Sie die Arbeits- oder Mutterschutzgesetze: Im Einzelfall sind die gut. Aber in der Summe kann zum Beispiel ein kleiner Betrieb sich das nicht leisten. Wir müssen deswegen zum Einzelfall zurückkommen und nicht immer nur in Siemenskategorien denken.

Wenn Sie morgen mit der Arbeit beginnen könnten: Wo anfangen?

Wir wären schon weit, wenn wir überhaupt beginnen könnten und sich die vier Fraktionen über den Handlungsbedarf einig sind. Interview: Ulrike Fokken