Kleiner Unternehmer auf dem Weg zu Kohl

■ Initiative vom Kanzler gefordert. Handwerker leiden, bilden aber mehr aus

Potsdam (taz) – „Jetzt reicht's“, sagte sich Klaus Weichhaus, Inhaber eines Computerfachgeschäfts im havelländischen Ketzin bei Potsdam. Seit dem Amtsantritt von Bundeskanzler Kohl wächst der Abstand zwischen Arm und Reich ständig. Die Probleme und Sorgen der großen Masse der Bevölkerung und der kleinen und mittelständischen Unternehmer im Land würden von den Politikern im Bund und den Ländern nur noch unzureichend berücksichtigt. Grund genug für Weichhaus, sich auf einen fast 1.000 Kilometer langen Marsch von Ketzin nach Bonn zum Kanzler zu begeben.

Heute kommt der Brandenburger in Bonn an. Statt der angekündigten „mehreren tausend“ Mitstreiter (taz-Interview vom 24. März) wollen Weichhaus nun einige hundert auf der Ebertbrücke empfangen. Auf seiner Tour quer durch Deutschland erreichten ihn bereits bis letzte Woche mehr als 300.000 Sympathiebekundungen, so Weichhaus. Die haben er und die regionale Handwerker- und Selbständigeninitiative „SOS Deutschland“ gesammelt.

Der Bevölkerung Deutschlands werde von den Politikern in Bund und Ländern ein schicksalhafter Sparzwang suggeriert. Für Weichhaus bleibt es aber Tatsache: Wir werden nicht mehr von den Politikern, sondern von den Managern der Konzerne, Banken und Versicherungen regiert. An wirklichen Veränderungen ist dieser Personenkreis überhaupt nicht interessiert, auch nicht an der Verbesserung der Pleitenmisere: Nimmt man nur die 13 größten Pleiten in Deutschland, so sei dem Staat dadurch ein Schaden von rund 4,5 Milliarden Mark entstanden.

Nach Informationen von Klaus Weichhaus würden in Berlin jährlich 100.000 Menschen um mehr als 250 Millionen Mark durch zunehmende Wirtschaftskriminalität betrogen. Auch er selbst habe geplatzte Schecks über Hunderttausende von Mark im Büro liegen.

Dem Kanzler soll bei der Ankunft in Bonn unter anderem eine Unterschriftensammlung von kleinen und mittelständischen Unternehmern aus der Prignitz und dem Ruppiner Land übergeben werden. Darin fordern die Kleinunternehmer unter anderem: Schluß mit der Wirtschaftskriminalität, der schlechten Zahlungsmoral, Schluß mit Firmenpleiten aufgrund betrügerischer Machenschaften von Auftraggebern. Empfänger von Handwerksleistungen müssen gesetzlich verpflichtet werden, den vollen Lohn zu zahlen. Analog einem Beispiel aus Schweden müsse der Staat einspringen, wenn offene Forderungen nicht termingemäß bezahlt werden könnten. Der Staat muß sich anschließend das Geld vom Schuldner zurückholen.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat am Dienstag das SOS der Brandenburger Selbständigen mit neuen Zahlen unterfüttert. Bei hohen Forderungsausfällen und zunehmendem Preisverfall sei die Zahl der Insolvenzen im Jahr 1996 um 78,6 Prozent gestiegen, sagte in Leipzig Dieter Philipp, der Präsident des Zentralverbandes. Zumindest eine positive Zahl konnte Philipp aber nennen: Die Zahl der Lehrlinge in den 131.000 ostdeutschen Handwerksbetrieben stieg seit 1990 von 32.000 auf 164.000 im vergangenen Jahr. Mit 1,3 Millionen Beschäftigten setzte das Handwerk 1996 etwa 181 Milliarden Mark um. Die Dichte der Handwerksbetriebe im Osten habe inzwischen etwa den gleichen Stand wie im Westen erreicht, sagte Philipp. Ulrich Pürschel