Parteiauftrag: Drei Brandanschläge

Dreieinhalb Jahre nach der Anschlagserie auf türkische Einrichtungen tappen die Ermittler weitgehend im dunkeln. Staatsanwaltschaft beruft sich auf Aussagen eines Kronzeugen  ■ Von Barbara Bollwahn

Auf Anweisung der PKK trafen sich in einer Nacht mehrere Männer in der Wohnung eines sogenannten Frontarbeiters der kurdischen Arbeiterpartei. Erst wurde eine Rede gehalten. Dann gab einer bekannt, daß eine Anschlagserie durchzuzuführen sei. Die Berlin-Gruppe habe den Auftrag für drei Anschläge erhalten. Die Zahl Drei könne überschritten, aber keinesfalls unterschritten werden, hieß es. Die drei türkischen Objekte waren schnell gefunden: Das türkische Reisebüro Turkish Airlines in Charlottenburg, Berlins ältester und bekanntester türkischer Fernsehsender TD-1 in Wedding und die türkische Bank IS in Kreuzberg sollten mit Molotowcocktails angegriffen werden. Zeitgleich um 11.30 Uhr.

Soweit die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft über die drei Berliner Brandanschläge auf türkische Einrichtungen im Rahmen einer bundesweiten Anschlagserie am 4. November 1993. 18 Tage später war die PKK von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verboten worden.

Folgt man der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, ergibt sich erstmals ein Bild über Vorbereitung und Durchführung von PKK- Anschlägen in Berlin. Schnell war in jener Nacht, in der sich die Männer in der Wohnung des Frontarbeiters trafen, ein versierter Bastler für die Mollies gefunden. Ein Mitglied der Gruppe, Eser A., wußte einen: Ali A., der nach seinen Informationen die zentrale Ausbildungsstelle für den bewaffneten Kampf im Libanon, die Mahsum-Korkmaz-Akademie, absolviert hatte. Ali A. war tatsächlich einverstanden, die Brandsätze für den geplanten Anschlag auf das Reisebüro in der Budapester Straße herzustellen. Den Einwand eines Gruppenmitglieds, daß Personen gefährdet werden könnten, wurde von einem anderen verworfen. Begründung: Es bestehe so etwas wie ein Kriegszustand, die Interessen der PKK müßten durchgesetzt werden.

Zwei Tage später, so die Staatsanwaltschaft, begaben sich vier Männer, unter ihnen Eser A., zu dem türkischen Reisebüro in der Budapester Straße. Um 11.30 Uhr wollten drei der Männer das Reisebüro betreten, in dem sich mindestens acht Mitarbeiter und Kunden befanden. Der vierte stand Schmiere. Doch eine Mitarbeiterin, die die auffällige Gruppe gesehen hatte, hielt den Büroleiter mit einem Warnschrei davon ab, den automatischen Türöffner zu betätigen. Einer der Männer, so die Anklageschrift, rüttelte vergeblich am Türgriff, schrie das Kommando „Anzünden!“ und warf Handzettel in die Luft. Eser A. und ein anderer entzündeten die mit Benzin gefüllten Flaschen. Aufgrund des starken Windes gelang ihn dies erst beim zweiten Versuch. Der andere Brandsatz wurde, wie abgesprochen, in Richtung Eingangstür gerollt. Doch der Wind verhinderte eine Explosion.

Obwohl bereits im Oktober 1995 Eser A. als einer der mutmaßlichen Täter verhaftet wurde und mittlerweile zum Kronzeugen avancierte, steht die Berliner Anschlagserie dreieinhalb Jahre danach noch lange nicht vor der Aufklärung. Bisher wurden zwei Tatbeteiligte des Anschlags auf Turkish Airlines verurteilt. Mehrere der Staatsanwaltschaft namentlich bekannte Beschuldigte sind unbekannten Aufenthalts. Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Fernsehsender sitzt ein Beschuldigter seit Februar vergangenen Jahres im Gefängnis. Ein neuer Termin für die abgebrochene Hauptverhandlung steht noch nicht fest. Ein Beschuldigter ist der Staatsanwaltschaft namentlich bekannt. Doch wo er sich aufhält, weiß sie nicht. Des weiteren gibt es unbekannte Beschuldigte. Am aussichtslosesten scheint der Anschlag auf die türkische Bank. Von zwei Beschuldigten weiß die Staatsanwaltschaft nur die Namen. Zwei weitere sind den Ermittlern völlig unbekannt.

Einen kleinen Schritt weiter kam die Polizei mit Hilfe der Informationen des aussagewilligen 23jährigen Eser A., der damit auf Einstellung seines Verfahrens wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung hofft. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die Generalbundesanwaltschaft, die gegen ihn ermittelt, hat bisher keine Anklage erhoben. Rechtsanwälte haben aber ihre Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Überläufern. Diese würden oft von den Ermittlungsbehörden manipuliert und dienten nicht selten dazu, die Beweisnot der Anklagebehörde zu kaschieren.

Aufgrund der Aussage von Eser A. verhaftete die Polizei im September vergangenen Jahres Ali A. Dieser soll, so Eser A., die Mollis für das Reisebüro gebastelt haben. Bei einer Hausdurchsuchung wurde die Polizei fündig. In der Wohnung des 35jährigen, der Anfang der 80er Jahre eingebürgert wurde, fanden die Beamten Bilder von PKK-Aktivisten und ERNK- Symbole und diverse PKK-Propagandabücher. Dies läßt nach Überzeugung der Ankläger auf eine „enge ideologische Einbindung in die Programmatik der PKK“ schließen. Eine anschließende Auswertung eines Telefonverzeichnisses hat ergeben, daß eine ganze Reihe der ermittelten Anschlußinhaber als Sympathisanten und/oder Mitglieder der PKK/ ERNK bereits straffällig geworden ist, heißt es in der Anklageschrift. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft belegen Papiere, daß Ali A. sich nichts sehnlicher als eine größere und wichtigere Rolle innerhalb der PKK gewünscht habe. Nachdem die Hauptverhandlung im Juni wegen einer geplanten Fernreise des Richters ausgesetzt wurde und von vornherein zu wenige Verhandlungstage angesetzt waren, wird nun im August weiterverhandelt.

Ali A., der seit fast neun Monaten in Untersuchungshaft sitzt, bestritt zur Verhandlungseröffnung die Vorwürfe und machte widersprüchliche Angaben. Hatte er zur Verkündung des Haftbefehls angegeben, zum Tatzeitpunkt in Rumänien und Griechenland gewesen zu sein – die Ermittler fanden in seinem Paß kein Einreisevisum –, sagte er in dem Strafverfahren gegen zwei andere Tatbeteiligte, daß er nicht sicher sei, ob er damals in Berlin, Köln oder Griechenland gewesen sei. Zuvor sei er im Libanon im Gefängnis gewesen. Dort sei es ihm so schlecht gegangen, daß er fast gestorben wäre. Durch Vermittlung der deutschen Botschaft sei er zur Behandlung in ein Krankenhaus nach Deutschland gekommen. Seither glaubten andere, er sei ein Spitzel. Wegen seines gesundheitlichen Zustands, der Angeschuldigte ist aufgrund von Folterungen zu 80 Prozent behindert, werde er „Deli Ali“ (der verrückte Ali) genannt. In der Mahsum-Korkmaz-Akademie sei er nicht freiwillig gewesen. Vielmehr sei er entführt worden und habe fliehen können.

Sein Anwalt hat vor wenigen Wochen beim Amtsgericht Tiergarten Beschwerde gegen die angeordnete Verlängerung der Untersuchungshaft eingelegt. Die vom Gericht gesehene Fluchtgefahr bestehe nicht, argumentiert Anwalt Martin Poell. Mit einer „fluchtanreizenden Strafe“ sei nicht zu rechnen, nachdem im Dezember vergangenen Jahres zwei Mitbeteiligte wegen gemeinschaftlich begangener versuchter schwerer Brandstiftung und unerlaubtem Waffenbeseitz zu drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wurden. Weil sein Mandant laut Anklage nur Beihilfe geleistet habe, so der Anwalt weiter, sei mit einer geringeren Strafe zu rechnen. Das Gericht verwies jedoch auf die „ungefestigten sozialen Bindungen“ des Angeklagten und lehnte den Antrag ab.