Im Bordell „Zum fröhlichen Marcel“ Von Wiglaf Droste

Oft kommt es nicht vor, daß die Bild am Sonntag etwas über die Belange der Literatur und ihrer Kritik mitzuteilen hat. Wenn sich die Sache aber mit Geschrei und Untenrum zusammenschnüren läßt, sind auch die schmierigen Jungs von der Springer-Lohnliste mit von der Partie. „Schriftstellerin bot Sex für eine gute Kritik“ hieß entsprechend die Überschrift eines Interviews, das die BamS Ende Juni mit Marcel Reich-Ranicki führte; da klang schon fast alles an, was BamS-Truppe und Reich-Ranicki selbst unter Literarischem Leben subsummieren.

„Hat ein Autor, hat ein Verlag schon einmal versucht, Sie zu bestechen?“ fragt die BamS treuherzig; „schon einmal“ ist wirklich hochkomisch formuliert. Reich- Ranicki antwortet routiniert: „In einer sehr ungünstigen Besprechung eines Buchs von mir im Spiegel – ganz zu Anfang meiner Laufbahn – stand, ich sei unbestechlich. Das hat die Branche wohl geglaubt. Die Folge ist: Kein Verleger hat versucht, mich zu bestechen.“ BamS fragt nach: „Ein Schriftsteller?“ Reich-Ranicki wählt die Methode „Wenn der Senator erzählt“: „Vor vielen Jahren hat eine Romanautorin mich spätabends in sehr unmißverständlicher Weise in ihr Hotelzimmer eingeladen. Ich bin nicht hingegangen, habe auch nichts über ihr Buch geschrieben. Im Gegensatz zu einem Kollegen, der das Angebot angenommen, mit der Frau geschlafen und sich anschließend lobend über ihr Werk geäußert hat.“

Wer nun dieser „Kollege“ gewesen ist – Hellmuth Karasek? Jürgen Busche? Werner Fuld? Reich-Ranicki unter Pseudonym? – will die BamS nicht wissen, sondern fragt lahm: „Der Name der Dame?“ Und Reich-Ranicki freut sich: „Jetzt kommt die Pointe. Ich habe ihren Namen vergessen. Sie spielt also keine Rolle in der Literatur.“ Da ist nun wirklich alles, alles gelogen; die Geschichte geht vielmehr so, wie sie eine Frankfurter Schriftstellerin erzählt: Daß Reich-Ranicki ihr nach einem Essen launig mitteilte, das Dessert für beide habe er aufs Zimmer bestellt; ihre Ablehnung des Kopulationsbegehrens habe wiederum Reich-Ranicki mit Racheakten in der FAZ quittiert, wo er die Schriftstellerin zuvor, als er sich für seine Avancen noch Chancen ausrechnete, heftig gelobt hatte.

Branchenbekannt ist auch das Reich-Ranickische Renommieren vor versammelten Hotelbarmannschaften, sein großes Geprahle mit tatsächlichen oder erfundenen Bettgeschichten und seine ohne jede Zurückhaltung zur Schau gestellte Begeisterung darüber, daß der Betrieb eben grundkorrupt funktioniert und hie und da tatsächlich auch für einen alten Knacker wie ihn noch sexuelle Früchte abwirft. Gerne begrüßt Reich-Ranicki Literaturbetriebsangehörige, so wird's von eben diesen Literaturbetriebsangehörigen erzählt, mit der Frage: „Wen fickän Ssie dänn gerradä?“ Beinahe wollte einem seine legendäre Unterhosenschnüffelei und seine Neugier, die Bettlaken des Betriebs betreffend, schon romanhaft komisch erscheinen. Doch so, wie die Sittenpolizei Schlüpfrigkeit erst produziert, ist Reich-Ranicki der Tugendwächter des Literaturbetriebs: Er, einer der korruptesten von allen, hat die Hohe Moral auf der Pfanne. Und sortiert munter ein und aus, wer zur Chimäre seines Literarischen Lebens gehört, diesem Bordell Zum fröhlichen Marcel.