Heute entscheidet das Kabinett über den Nachtragshaushalt 1997 und den Haushalt 1998. CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble kann für eine Übergangszeit mit einer höheren Verschuldung gut leben. Die Erfüllung der Maastricht-Kriterien sieht er dadurch nicht in Gefahr. Mit dem starken Mann der Regierungskoalition sprachen unsere Bonner Korrespondenten Bettina Gaus und Markus Franz

„In Deutschland geht's nicht schief“

taz: Herr Schäuble, seit Monaten bekommt die Koalition in Umfragen von der Bevölkerung verheerende Noten. Woran liegt's?

Wolfgang Schäuble: Ich denke, es liegt daran, daß jede Regierungskoalition in der Phase, in der sie schwierige Entscheidungen zustande bringen muß, immer an Zustimmung verliert. Da ist sie notwendigerweise einer vielfältig kontroversen Diskussion ausgesetzt, die von der Bevölkerung in den Einzelheiten gar nicht wahrgenommen werden kann. Wir müssen jetzt die Entscheidungsprozesse zu Ende bringen. In dem Maße, in dem uns das gelingt und dann eine gewisse Konsolidierung in den Sachfragen eintritt, werden wir uns auch in den Umfragen erholen.

Sie haben mehrfach mit Blick auf eine mögliche Kabinettsumbildung erklärt, es gebe weder einen Bedarf an Personaldebatten noch an Personalveränderungen. Meinen Sie das angesichts der Umfrageergebnisses für die Koalition eigentlich wirklich ernst?

Ich glaube, die Umfrageergebnisse sind nicht durch Personaldebatten oder Personalveränderungen positiv zu beeinflussen. Eine Debatte über Personalfragen wäre eine Flucht vor der Notwendigkeit, auch bei dem bekannten Widerstand unserer Bevölkerung gegen Veränderungen die notwendigen Reformen durchzusetzen.

In letzter Zeit ist in Ihren eigenen Reihen deutliche Kritik am Führungsstil Helmut Kohls geübt worden. Verteidigungsminister Rühe ist unwidersprochen in der FAZ zitiert worden, er sehe die Krise der Koalition unter anderem darin begründet, daß die ernsthafte Befassung mit den entscheidenden Fragen ausschießlich einem kleinen Kreis um Kohl und Schäuble vorbehalten sei. Das Parteipräsidium habe zu wenig Einfluß. Was sagen Sie dazu?

Ich kenne die Aussagen von Volker Rühe nicht, und ich glaube auch nicht, daß er sie so gemacht hat. Im übrigen halte ich solche Aussagen für völlig falsch.

Auch der CDU-Abgeordnete Rupert Scholz hat schriftlich davor gewarnt, daß die Regierung bei allzu konkreten Festlegungen in Koalitionsvereinbarungen zum schlichten Vollzugsorgan von Koalitionsrunden herabzusinken drohe.

Wo hat er das denn getan?

In einem juristischen Fachaufsatz.

Na gut, da müßte ich aber den Zusammenhang kennen. Rupert Scholz arbeitet als stellvertretender Fraktionsvorsitzender so freundschaftlich mit mir zusammen, daß ich überhaupt nicht glaube, daß er eine Äußerung getan hat, die auch nur im entferntesten in diesem Sinne als Kritik an meiner Arbeit in der Führung der Fraktion oder der Koalition verstanden werden könnte. Das kann ich mir einfach nicht vortellen.

Meldungen über Kritik am Führungsstil der entscheidenden Gremien stimmen also nicht?

Wenn gewisse Probleme objektiv vorhanden sind und wenn auch Abläufe so sind, daß es Kritik in der Öffentlichkeit gibt – zum Teil gar nicht nur unberechtigt –, dann sind natürlich diejenigen, die in der Regierung und auch in der Führung der Koalitionsfraktionen einen maßgeblichen Anteil tragen, in besonderem Maße in das Blickfeld der Kritik gerückt.

Sie selbst galten noch vor einigen Monaten als unumstrittener Kronprinz für die Zeit nach Helmut Kohl.

Das kann schon deswegen nicht richtig sein, weil ich selber das immer zurückgewiesen habe. Also kann's nicht unumstritten gewesen sein. Ich habe immer gesagt, in einer Demokratie gibt's keine Kronprinzen.

Gut. Sie galten in weiten Teilen der Öffentlichkeit als unumstrittener Kronprinz. Jetzt scheint es, daß Ihr Stern mit sinkt, falls der Kanzler scheitert. Beunruhigt Sie das?

Nein, das eine wie das andere beunruhigt mich nicht. Es interessiert mich im übrigen gar nicht. Was mich interessiert, ist, daß wir gemeinsam und jeder für sich eine möglichst vernünftige Arbeit für unser Land machen. Ich glaube im übrigen auch nicht an den Untergang von Helmut Kohl. Da sage ich auch: Man muß immer aufpassen. Die dümmsten Ratten sind die, die das Schiff verlassen, das gar nicht sinkt. Das ist alles dummes Zeug. Es beschäftigt mich auch gar nicht.

Wie können Sie angesichts der Ebbe in der Kasse noch eine vernünftige Politik machen? Helmut Kohl hat 1988 gesagt, das Gütesiegel unserer Politik ist die Haushaltspolitik. Was bleibt Ihnen jetzt noch als Gütesiegel?

Wir hatten zwischen 1988 und 1997 ein Ereignis, das man landläufig mit dem Begriff Wiedervereinigung beschreibt. Das hat in dramatischer Weise die Grunddaten der Wirtschafts-, Finanz-, und Sozialpolitik in Deutschland verändert. Wir haben heute eine weit größere Transferleistung als Neuverschuldung. Ich gebe allerdings zu, daß die öffentliche Wahrnehmung dem noch nicht uneingeschränkt so folgt.

Die Gesundheitsreform ist unpopulär. Die Rentenreform wirkt wie ein Notbehelf. Es gibt mehr als vier Millionen Arbeitslose. Die Regierung bekommt die Verschuldung nicht in den Griff. Wie wollen Sie die Wahlen gewinnen?

Wenn alle Wähler so denken würden, wie Sie fragen, dann wär's vielleicht schwierig. In den Aufgeregtheiten des Tages ist das Bild so, wie Sie es beschreiben. Das will ich ja gar nicht bestreiten. Aber glücklicherweise sind die Wähler in ihrer Gesamtheit gar nicht so unempfänglich, daß sie daneben nicht sehen würden, daß sehr vieles sehr viel vernünftiger geworden ist. Deswegen sage ich Ihnen zum Beispiel, für den Wahlkampf im nächsten Jahr wird die Europapolitik eine zentrale Bedeutung haben. Die Deutschen wissen sehr wohl, daß es für uns die Schicksalsfrage an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert ist.

Bundeskanzler Kohl und Sie wiederholen beharrlich, es könne kein Zweifel daran bestehen, daß Deutschland die Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllen werde. Wie wollen Sie's denn machen?

Inzwischen ist das in der deutschen Debatte fast schon unstreitig geworden, wenn Sie genau zuhören, daß wir die Kriterien des Maastricht-Vertrages in Deutschland erfüllen werden, auch im Jahr 97. In diese 3 Prozent Neuverschuldung gehen ja die Haushalte aller Gebietskörperschaften und der gesetzlichen Sozialversicherungen ein. Zum Beispiel rechnet sich ein Überschuß in der Pflegeversicherung mit Defiziten anderswo gegen.

Und wenn's doch schiefgeht?

In Deutschland geht's nicht schief.

Zurück zur Innenpolitik. Noch vor einigen Wochen haben Sie gesagt, daß man bei einem Wachstum von 2,5 Prozent und bei Preisstabilität nicht von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts reden könne. Nun müssen Sie's doch tun. Woher rührt der Sinneswandel innerhalb von so kurzer Zeit?

Wir haben an der Steuerschätzung im Mai gesehen, daß in einer Weise, wie es niemand vorhergesehen hat, die Steuereinnahmen trotz steigender Wirtschaftskraft zurückbleiben. Außerdem folgt die Entwicklung am Arbeitsmarkt sehr viel langsamer als in früheren Konjunkturzyklen der wirtschaftlichen Belebung nach.

Am Freitag soll der Haushaltsplan im Kabinett verabschiedet werden. Trägt der nicht allzusehr die Handschrift des kleineren Koalitionspartners?

Nein, inwiefern? Der Haushaltsplan wird die Handschrift des Bundesfinanzministers tragen und im übrigen geprägt sein durch die Strukturprobleme der Bundesrepublik Deutschland. Der Haushaltsplan ist ja immer ein Stück weit der in Zahlen geronnene Stand der Lage der Nation.

Aber die FDP hat sich doch durchgesetzt: keine Steuererhöhung, dafür mehr Verschuldung und Privatisierung.

Wir sind ja gemeinsam für eine Politik einer nachhaltigen Steuersenkung. Das ist auch das Anliegen der Steuerreform. Die Frage ist: Kann man es vertreten, daß man für eine Übergangszeit von ein, zwei Jahren eine Lücke im Bundeshaushalt in stärkerem Maße als bisher akzeptiert? Ich halte das für gut vertretbar.

So können Sie nur argumentieren, wenn Sie lediglich eine Durststrecke überwinden müssen. Bisher haben Sie auf die Wirkung der Steuerreform gesetzt. Dafür brauchen Sie aber auch die Zustimmung des Bundesrats. Derzeit sieht es nicht so aus, als ob Sie die bekämen.

Ich gehe noch immer davon aus, daß die SPD im Bundesrat nicht eine Politik der Totalverweigerung machen wird. Ich glaube, es muß unter allen Umständen gelingen, daß jetzt endlich die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird. Dafür sind die Chancen auch gar nicht schlecht.

Sie halten also eine Einigung in Teilbereichen immer noch für besser als nichts?

Eine Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist ganz sicher besser als nichts. Das ist richtig. Wir haben die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer nie an irgendeine zusätzliche Bedingung geknüpft. Ich schließe auch nicht aus, daß man sich in der Frage einer Umschichtung von den Sozialversicherungsbeiträgen auf Verbrauchssteuern einigen kann. Aber das ist natürlich beides noch nicht Steuerreform.

Nun schlagen sich ja Bundesregierungen, nicht nur CDU-geführte, seit Jahrzehnten mit dem Bundesrat herum. Ist hier eine Reform überfällig? Macht unsere Verfassung die Regierung handlungsunfähig?

Nein, das macht sie nicht. Daß die Länder im Bundesstaat durch eine eigene zweite Kammer an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken müssen, das halte ich für ein absolut unstreitiges Prinzip. Mir würde aber trotzdem schon eine Menge an Reformbedarf in unserem Föderalismus einfallen. Wenn es eine Chance gäbe, sich zwischen Bund und Ländern über eine Neuzuordnung von Aufgaben und den dafür notwendigen finanziellen Mitteln zu verständigen, dann würde ich das für richtig und notwendig halten. Aber die gibt es im Moment nicht. Ich würde auch eine Länderneugliederung für notwendig halten. Ich halte 16 Länder von so unterschiedlichem Zuschnitt für zu viel und zu ungleichgewichtig.

Ein anderes Thema. Kommt es 1997 noch zu einer Reform des Staatsangehörigkeitsrechts?

Ich hoffe, ja.

Worauf gründen Sie Ihre Hoffnung?

Sie machen mir Spaß. Da fragen Sie mich, wird es eine Einigung geben, dann sage ich ja. Und dann wollen Sie auch noch Einzelheiten wissen. Ich sage Ihnen jetzt aber nicht, wie wir das schaffen können.

Wird es denn zu wesentlichen Änderungen kommen, beispielsweise zu einer automatischen Einbürgerung von Kindern, die in Deutschland geboren sind?

Der Punkt ist, daß wir eine bessere Integration erreichen werden.

Für die FDP bedeutet das automatische Einbürgerung.

Nein, sondern daß alle die Chance haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen. Ich glaube, es hat sich inzwischen weitgehend durchgesetzt, daß wir für die deutsche Staatsangehörigkeit niemanden in Anspruch nehmen können, der sie nicht will. Die Frage ist, wie man vermeiden kann, daß regelmäßig eine doppelte Staatsbürgerschaft entsteht. Wenn das geschieht, gibt es eine neue Privilegiendiskussion.

Es gibt ja in Ihrer Partei eine Gruppe junger Abgeordneter, die eine weitgehende Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts fordert. Sie hat das ziemlich offensiv getan. Was hat das bewirkt?

Das hat eine Einigung nicht leichter gemacht. Das öffentliche Hochziehen solcher Themen durch einzelne Kollegen beinhaltet immer die Gefahr, daß andere – zumal sie sicher sein können, daß sie in der Mehrheit sind – sich dadurch provoziert fühlen.