Ein Hochzeitsständchen auf dem Lande

■ Zur Eröffnung der Heimatklänge rackerte sich Cubanismo, das 14köpfige Tanz-Orchester des kubanischen Trompeters Jesús Alemany, im Tempodrom ab

Selbst das Konzert irgendeiner piefigen Schülerrockband in Schmargendorf kommt teurer. Im Tempodrom wühlen sich aber 14 Profimusiker für drei Mark Eintritt zwei Stunden lang durch Salsa, Rumba, Cha-Cha-Cha und kleine Herrengedecke. Das ist eigentlich ein Witz. Trotzdem wurde über den Winzbetrag ein wenig bange diskutiert: ob die Heimatklänge womöglich im zehnten Jahr den Ausverkauf der einmal ideologisch korrekt an den Start gegangenen Volxmusik vorantreiben. Alles Unsinn: Es sind noch ein paar hundert BesucherInnen mehr geworden, die sich den ersten Themenabend zur kubanischen Musik anhören wollen. Und so staut man sich noch um Viertel vor Zehn weitläufig auf der Straße, während Irene Moessinger auf der Bühne die treue Community begrüßt.

Nun ist der Grat zwischen flott abhebender Unterhaltung und schmierig dahineiernder Salsa- Soße eher schmal. Spätestens seit den siebziger Jahren verbindet man mit der Tanzmusik Kubas nicht mehr den verschwitzten Sound wüster Nachtclubs, sondern allerlei Flitterzeug in billigen Diskokaschemmen der New Yorker Downtown. Schließlich bestand der Soundtrack zu „Saturday Night Fever“ über weite Strecken aus lateinamerikanischem Geflöte und Gerassel bei einem sonst eher stumpfen Beat. Auch Parodien wie Kid Creoles new-wavige Coconuts sind noch gut in Erinnerung. Selbst ein Latin-Jazz-geübter Kollege vom Radio fand, daß sich der Sound von Cubanismo, der Band des Trompeters Jesús Alemany, eher wie ein Las-Vegas-Orchester „für geschiedene Lehrerinnen“ anhört. Natürlich hat der ganze Trubel auf der mit blinkenden Glitterbuchstaben beleuchteten Bühne auch seinen Reiz. Der Glamour Kubas ist ja ein gebrochener: Viele Bands spielen noch immer für Castro Devisen ein, der Rest lebt im US-amerikanischen Exil, das weiß man auch in den Tempodrom-Zelten. Insofern ist der kubanische Sound seit den fünfziger Jahren ohnehin aus einem steten Cross- over entstanden, zu dem heute Acid-Jazz ebenso paßt wie der letzte House-Sound des Nu-Yorican-Soul-Teams.

Mit ihrem Auftritt tänzeln Cubanismo genau an dieser Bruchlinie von Tradition und modernem Mainstream entlang. Gerade durch die hysterischen Trompeteneinsprengsel von Jesús Alemany, der vor 15 Jahren entdeckt wurde und seither zur ersten Musiker-Garde in Havannas „Paradiso“-Club gehört, wird der Abend zu einer solchen Art Karibik-Archäologie. Ziemlich präzise trifft der junge Mann den Ton zwischen Miles Davis, Fats Navarro und Viti Paz. Mal rotiert dazu die 14köpfige Combo in Swing-Motiven, mal darf der erstaunliche Pianist Ignacio Herrera Gershwin- Passagen in Techno-Geschwindigkeit spielen, und mal trieft auch bloß unglaublich viel Amore- Kitsch aus den Gesangslinien der immerhin zu dritt knödelnden Sänger in ihren schwer eleganten Anzügen. Melodisch allerdings bleibt das alles sehr übersichtlich, ein bißchen wie bei einem Hochzeitsständchen auf dem Lande.

Nach der Tempodrom-üblichen Verzehrpause – in diesem Jahr verkauft man übrigens stilecht bis zu 50 Mark teure Zigarren – wird das Programm um einiges merkwürdiger. Lange trommeln sich die sechs Perkussionisten mit eher vertrackten experimentellen Rhythmen ein, und auch der Gesang erinnert mehr an die Schlachtrufe, mit denen ursprünglich der Sieg Kubas über die Piraten 1604 gefeiert wurde. Damals, so will es die Legende, entstand der Sound of Son als eine Mischung aus afrikanischen und einheimischen Musikelementen (der Befreier soll ein Sklave namens Salvador Galomón gewesen sein). Erst 300 Jahre später kamen die typischen spanischen Trompeten und der New-Orleans-Jazz-Einfluß hinzu. Für ein paar Stücke hat man auch bei Cubanismo einen recht lebhaften Eindruck davon, wie selbst für schnöde Tanzmusik heute noch Bläser und Bässe ausufernd arrangiert werden. So überdreht groovt kein Orchester, zumindest nicht östlich von New York. Harald Fricke

Cubanismo feat. Jesús Alemany, bis 13. 7., 21.30 Uhr (So. auch 16 Uhr); Tempodrom, in den Zelten.