"Pünktlich und mit Lineal"

■ Seit einem Jahr läuft das Projekt "Produktives Lernen an Berliner Schulen", das Praxis mit Pauken verbindet, mit viel Erfolg. "Schwierige Fälle" meistern Hauptschulabschluß

Nadine war eine entsetzliche Schülerin: Zweimal ist sie bereits sitzengeblieben und hatte trotzdem nur Sechsen auf dem Zeugnis. Sie hatte keinen Bock mehr auf Schule. Ein Jahr später hat sich das alles geändert: Inzwischen hat sie den Hauptschulabschluß in der Tasche und will nun ihren erweiterten Abschluß machen. Grund für diese Sinneswandlung: Das Projekt „Produktives Lernen an Berliner Schulen“, das seit dem letzten Schuljahr an zwei Haupt- und drei Sonderschulen läuft.

In diesem Projekt, das von dem Institut für Produktives Lernen in Europa (IPLE) und der Senatsverwaltung für Schule und Arbeit durchgeführt wird, erhalten lernschwache Schüler die Möglichkeit, durch eine Kombination von betrieblichem Praktikum und Schulunterricht ihren Hauptschulabschluß zu erlangen. Für einen Großteil der Schüler wäre dieses Ziel unerreichbar gewesen. Drei Praktika für jeweils rund drei Monate werden von den Schülern innerhalb eines Schuljahres durchlaufen. Die Praktikumsplätze müssen sich die Schüler selbst organisieren – mit allem, was dazugehört: Telefonate mit Betrieben, Bewerbungen, Vorstellungsgespräche und manchmal auch Absagen. So werden die Schüler bereits auf die spätere Stellensuche vorbereitet und können sich Praktikumsplätze suchen, die ihrem Interesse entsprechen. So hat Nadine zum Beispiel im Baumarkt, in einer Boutique und in einem Büro gearbeitet. Drei Tage in der Woche sind die Schüler in den Betrieben, die restlichen zwei Tage haben sie Unterricht in Fächern wie Englisch oder Mathe. In dem Unterrichtsfach Kommunikation können die Schüler Erfahrungen austauschen und über ihre Probleme in den Betrieben diskutieren.

Die Ergebnisse dieses Projektes wurden am Mittwoch in der 1. Haupt- und Realschule Prenzlauer Berg vorgestellt. Dort berichteten Lehrer und Schüler der beteiligten Schulen von ihren Erfahrungen. Während jedoch SchuldirektorInnen und Schulräte die Begrüßung zelebrierten und Professor Schneider, Mitbegründer von IPLE, von den „bedeutsamen Handlungssituationen mit Ernstcharakter“ sprach, verzogen sich die Hauptakteure zumeist gelangweilt zu einer „Rauchpause“.

Georg und Stephanie berichteten von ihren Erfahrungen an der Jean-Piaget-Schule in Hellersdorf. Auch sie wußten nur Gutes zu berichten: Für den 17jährigen Georg ist der große Vorteil an dem Projekt die Chance, eine Lehrstelle zu finden. Bestes Beispiel ist Anne von der 1. Haupt- und Realschule Prenzlauer Berg, die gleich mit dem ersten Praktikum eine Lehrstelle als Tierarzthelferin angeboten bekam. Für die 16jährige Stephanie ist die Abwechslung besonders positiv: „Hier geht es nicht mehr um das stupide Einhämmern von Wissen wie sonst in der Schule“, meint sie. Wichtig ist für sie auch die intensive Betreuung durch ihre Lehrerinnen: „Da wurde auf jedes Problem einzeln eingegangen!“ Deshalb kann sich das Ergebnis auch sehen lassen: 17 Schüler haben vor einem Jahr in der Klasse mit diesem Projekt begonnen. Bei allen Schülern handelte es sich um „schwierige Fälle“. Laut Lehrerin Lange waren fast alle Jugendliche aufmüpfig, undiszpliniert und faul. Bei der letzten Matheklausur jedoch hatte sie dann ein ganz anderes Bild vor Augen: „Da gab es nicht einen, der sein Lineal nicht dabeigehabt hätte. Und alle waren pünktlich!“

Von den 17 Schüler haben nur drei ihren Hauptschulabschluß nicht geschafft. Alle drei wollen ihn nachholen. Zehn Schüler wollen weitermachen und im nächsten Jahr den erweiterten Hauptschulabschluß machen. Der Rest hat bereits eine Lehrstelle gefunden oder arbeitet in den Betrieben. Corinna Budras