Schwererziehbare Songbaustellen

Während die britischen Chemical Brothers mit ihren Big Beats die USA erobern, sehen sich die deutschen Elektronikfrickler Mouse On Mars eher als Spaziergänger in Technoland – und wie immer ist das Ergebnis recht angenehm  ■ Von Martin Pesch

So richtig glücklich scheinen sie mit ihm nicht zu sein, aber der Titel der neuen CD von Mouse On Mars wurde nun einmal von einem Computer errechnet, und da kann man nichts machen.

„Autoditacker“ heißt das neue Werk. Das klingt sperrig, fremdartig, künstlich und überhaupt nicht so schön flauschig wie die Namen der Vorgängeralben „Vulvaland“ und „laora Tahiti“. Jan St. Werner und Andi Toma erklären, daß der Titel einer Internet-Recherche entspringt, durch die die besten LP-Titel der letzten 40 Jahre zusammengetragen wurden, und „Autoditacker“ dem nach bestimmten Kriterien errechneten Mittelwert dieser Wörter entspricht.

Vielleicht setzen die beiden Düsseldorfer damit auch nur ein attraktives Gerücht in die Welt, denn das komische Wort klingt eher nach einer mehr Obskurität denn Objektivität anstrebenden Suche. Und Werner schiebt gleich die lakonische Bemerkung hinterher: „Der Name ist hauptsächlich für den osteuropäischen und anglo-amerikanischen Markt, hierzulande wird der nicht so gut ankommen.“

Auch so ein netter Scherz. Während Osteuropa von derartiger Musik nur homöopathische Dosen abbekommt und die Anglo-Amerikaner sich gerade an die Big Beats der Chemical Brothers & Co. gewöhnen, bleiben nur wir, die sich der Sache der sachten Elektronik annehmen müssen. Autoditacktisch, sozusagen.

Und wie immer bei Mouse On Mars ist das Ergebnis ziemlich angenehm. Schon ihr erstes Album, „Vulvaland“, war ein Meisterstück entspannter Elektronik. Werner spricht auch von einer „Sprache“, die sie mit ihrem Debüt zu entwickeln begonnen haben und die ein immer geschmeidigeres Gefüge wird, um die Ideen der beiden Produzenten auszudrücken, ohne sie endgültig artikulieren zu können. „Wir machen Musik, die sich Fragen stellen läßt“, sagt Werner. Und Toma ergänzt: „Wir sind nicht so gern Kontrolleure, sondern Beobachter der Musik. Wir freuen uns immer, wenn etwas passiert, was wir erst mal gar nicht begreifen. Das lassen wir dann so und schauen es uns an. So wie spazierengehen.“

Bei so einem Spaziergang begegnet man auch Dingen, die stören. Werner sagt es so: „Da gibt es auch Elemente, auf die wir gar nicht abfahren, zum Beispiel ein Echo auf irgendeinen Ton, das wir doof finden, aber es ist halt passiert, und wir lassen es drin, um Bescheidenheit zu üben. Es gibt Dinge, die hat man ausgelöst, die liegen einem vielleicht nicht am Herzen, aber man muß dann mit denen umgehen und sich irgendwas für die ausdenken.“

Ist das die endlich zum Klingen gebrachte Ethik der Verantwortung, praktisch die B-Seite des 44- Seiten-Buches von Hans Jonas? Ja, aber. „Es geht grundsätzlich um Sympathie“, sagt Toma, „und wenn man manchmal schwererziehbare Stellen dabei hat, werden die nicht verstoßen.“ Weil das ganz unironisch gemeint ist, setzt Werner den Gedanken fort: „Es geht um die Frage, ob das, was entsteht, von uns verstanden wird, ob wir zu Sympathie fähig sind.“

Mit solchen Aussagen lassen sich wohl am besten die beim Hören ihrer Platten gemachten Beobachtungen verbinden, wie jene, daß bei Mouse On Mars nichts abgehangen, zielgruppengerecht produziert oder sauber klingt. Das gibt zum Beispiel einem Popsong wie „Cache Cöur Naif“, den Mouse On Mars mit Lätitia Sadier von Stereolab aufgenommen haben, einen ordentlichen Schub an Rauheit und Beiläufigkeit, die sich wiederum zu jener Charakteristik verbinden, an die man früher gerne seufzend die Feststellung anschloß: In einer besseren Welt wäre das ein Hit.

Vorerst muß man aber davon ausgehen, daß wir bloß in der besten aller möglichen Welten leben. Beziehungsweise einiges dafür tun können, daß das nicht nur ein dem Zynismus abgerungener Spruch bleibt. Deswegen ist es keine aus den Fingern gesogene Bemerkung, wenn Werner sagt, daß wir seit dem Moment unserer Geburt bestimmte Entwicklungen in Gang setzen würden. Und – es mag zwar ein wenig platt klingen – daß sich niemand aus diesen Entwicklungen fortstehlen könne.

Entsprechend wird man mit den Stücken von Mouse On Mars immer wieder zur Befragung der eigenen Orientierung gezwungen. Wenn im neuen Stück „Juju“ etwa ein „digitales Solo“, wie sie es nennen, den fließenden Track abbricht und das Ohr vor neue Aufgaben stellt.

Oder wenn ein ziemlich poppiger Stomper wie „Twift Shoeblade“ mit seinen einladenden und gutgelaunten Riffs in Windungen geführt wird, die zu verfolgen man sich eigentlich nicht wünscht. Trotzdem geht man gerne mit. Das liegt daran, daß „Mouse On Mars immer den Schub hat“, wie Werner sagt, „auf die Leute zuzugehen“.

Mouse On Mars: „Autoditacker“

(Too Pure/Rough Trade)