■ Wer hat noch Interesse an Karadžićs Verhaftung?
: Taktik und Tatarenmeldungen

Eins gibt es in der bosnischen Serbenrepublik derzeit mehr als genug: Gerüchte. Da soll die US-Außenministerin Madeleine Albright der Präsidentin der Serbischen Republik, Biljana Plavšić, die Ausreise des Ex-Serbenführers Radovan Karadžić angeboten haben. Dann wieder heißt es plötzlich, es sei umgekehrt gewesen. Gleichzeitig verlautet aus amerikanischen Quellen, die SFOR-Truppen bereiteten sich in speziellen Trainings auf den großen Schlag gegen Karadžić und den ehemaligen Armeechef Radko Mladić vor. Nur leider wissen weder Paris noch das Pentagon davon und dementieren. Kurzum: Nichts genaues weiß man nicht, kolportiert es aber trotzdem.

Eins allerdings weiß man ganz genau: Die USA stehen international unter großem Druck. Mitte kommenden Jahres läuft das Mandat der SFOR aus. Mehr als peinlich wäre es da schon, wenn die internationale Staatengemeinschaft, mit den USA als Vorreiter, in der Frage der Verhaftung der Kriegsverbrecher keinen Schritt weitergekommen wäre. Denn damit bliebe eine der Kernbestimmungen des Dayton-Abkommens unerfüllt, die dummerweise auch noch mit der schwierigen Frage der Rückführung der Flüchtlinge aufs engste verknüpft ist.

Auch wenn das Albright-Szenario getrost als Ente abgetan werden kann, ist zumindest eines klar: Den USA käme es wahrscheinlich nicht ungelegen, wenn sich Karadžić klammheimlich verabschieden würde. Zumal die Reaktionen der Bevölkerung in Pale und Umgebung auf die Verhaftung nur schwer abzuschätzen sind. Auch für Biljana Plavšić hätte das Vorteile. Der Widersacher würde sang- und klanglos abtreten und ihr das Feld überlassen. Aber wahrscheinlich könnte auch sie nicht die Frage beantworten, welches Land daran Interesse haben sollte, jemandem, der immerhin mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, Unterschlupf zu gewähren. Denn welches Land könnte nicht, ja, müßte sogar in diesem Fall mit Sanktionen rechnen?

Die Grenzen zwischen Mythen, Absichten und Wirklichkeit sind fließend. Alles wirkt wie eine Inszenierung, eine schlechte dazu. Damit verkommt die Feststellung, eine Verurteilung der Kriegsverbrecher sei eine der Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden, mittlerweile zur Farce. Das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, das ja nun einmal auf Zuarbeit angewiesen ist, droht vollends ad absurdum geführt zu werden. Barbara Oertel