Zapatisten erreichen die Hauptstadt

Die Aufständischen aus Chiapas wollen in Mexiko-Stadt für Indigena-Rechte eintreten. Neues Bündnis soll politischen Einfluß sichern und der Regierung auf die Finger schauen  ■ Aus Mexiko-Stadt Gerold Schmidt

Wenn nicht noch in letzter Minute Unvorhergesehenes passiert, zieht heute die maskierte „Sondergruppierung Emiliano Zapata“ durch die Straßen von Mexiko- Stadt. Diesen Namen haben sich die 1.111 Mitglieder der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) gegeben, die am Dienstag morgen als VertreterInnen ihrer Dorfgemeinden vom Bundesstaat Chiapas aus in die Hauptstadt aufbrachen. Subcomandante Marcos und die übrige Führung der EZLN blieben zu Hause.

Der Buskonvoi legte in den Bundesstaaten Oaxaca, Puebla und Morelos Zwischenstationen ein. Die Zapatisten hielten dort Kundgebungen mit mehreren tausend Anhängern ab. Auf dem Weg schlossen sich zahlreiche VertreterInnen von Indigena-Organisationen aus anderen Landesteilen an. Heute werden die MarschteilnehmerInnen vor dem Nationalpalast für die Erfüllung der mit der Regierung im Februar 1996 geschlossenen Vereinbarungen über Indigenarechte und -kultur demonstrieren. In den folgenden Tagen nehmen die Aufständischen aus Chiapas am Gründungskongreß des Zapatistischen Bündnisses der Nationalen Befreiung (FZLN) teil.

So spektakulär die massive Präsenz der Zapatisten in der Hauptstadt auch ist, so ungewiß sind die bleibenden Nachwirkungen dieses Ereignisses. Für die EZLN geht es ein weiteres Mal darum, nicht nur in die Schlagzeilen, sondern wieder in die politische Offensive zu gelangen. Die Verhandlungen mit der Regierung wurden vor gut einem Jahr unterbrochen.

Chiapas ist hoch militarisiert, Konflikte zwischen Landbesetzern und -besitzern fordern zahlreiche Todesopfer, eine Lösung ist nicht in Sicht. Eine zivile, parteienunabhängige Massenbewegung ist trotz mehrerer Initiativen der Zapatisten bisher nicht entstanden. Aus ihrer Sicht besteht sogar die Gefahr, daß sich mit dem Ergebnis der Parlamentswahlen von Anfang Juli die Blicke noch mehr auf die Parteipolitik konzentrieren, da die Opposition nach fast sieb zig Jahren Alleinherrschaft der Regierungspartei PRI erstmals wirkliche Einflußmöglichkeiten hat.

Die offizielle Gründung der FZLN als feste Organisation soll der nicht parteigebundenen Zivilgesellschaft politisches Gewicht verleihen und sie einen. Das Bündnis soll nicht nach der Macht greifen, sondern die Regierenden kontrollieren. Kritiker werfen dem Konzept nach wie vor mangelnde Klarheit vor. Die FZLN ist nach den Aussagen der Zapatisten nicht ihr „ziviler Arm“. Der starke Einfluß der EZLN ist aber unbestritten, hatte doch die Guerilla selbst bereits Anfang 1996 zur Gründung der FZLN aufgerufen.

Aber trotz aller Abgrenzung setzt die EZLN auch auf die Parteien, speziell auf die linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und deren kommenden Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Cuauhtémoc Cárdenas. Mit der PRD als Triebkraft könnte das Parlament die Idee einer Indigena- Gesetzgebung wieder aufgreifen, wie sie die parteiübergreifende Cocopa-Kommission aus Abgeordneten und Senatoren in der vergangenen Legislaturperiode vorgeschlagen hatte. Die EZLN stimmte dem Vorschlag zu, doch Mexikos Präsident Ernesto Zedillo verhinderte eine Abstimmung im Parlament.

Die PRI macht gute Miene zum für sie bösen Spiel: Die Partei bekundete „Respekt und Unterstützung“ für den Marsch der Zapatisten. Der für die Verhandlungen abgeordnete Regierungsfunktionär Pedro Coldwell bietet den Aufständischen ein Gespräch an. Aber damit ist weder die Militarisierung in Chiapas vom Tisch, noch bedeutet es konkrete Schritte für die von den Zapatisten geforderte Selbstbestimmung der Indigena- Gemeinden. Der Handlungsspielraum der Zapatisten hat sich jedoch offenbar wieder erweitert.