■ Heute beginnt in Peking der 15. Parteitag der Kommunisten. Erwartet wird nicht viel weniger als ein Beschluß über die Privatisierung aller Staatsbetriebe. Kurz nach dem Tod Deng Xiaopings werden die Weichen für ein neues China gestellt.
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Heute beginnt in Peking der 15. Parteitag der Kommunisten. Erwartet wird nicht viel weniger als ein Beschluß über die Privatisierung aller Staatsbetriebe. Kurz nach dem Tod Deng Xiaopings werden die Weichen für ein neues China gestellt.

Ohne Führer voran

Der chinesische Parteitag ist ein Ereignis, wie wir es in Europa nicht mehr kennen. Die Medien haben keinen Einfluß. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen. Sicherheitskräfte regieren rund um den Tagungsort. Doch muß nicht alles Unsinn sein, was zweitausend chinesische Kommunisten in der rot beflaggten Halle des Volkes am Tiananmen-Platz in Peking in den nächsten Tagen beschließen.

Der 15. Parteitag der KPCh stellt die Weichen für ein neues China: Mao Tse-tung und Deng Xiaoping, die Führer der sogenannten „ersten“ und „zweiten“ Generation, sind tot. Der kaiserähnliche Persönlichkeitskult an der Spitze Chinas ist endgültig abgesagt: Ein wichtiges Zeichen des Fortschritts, das mit dem wachsenden Ansehen des Politbüros zu tun hat. Beliebtester Mann ist dort der knallharte Wirtschaftsreformer Zhu Rhongji, der als erster Expertentum und Professionalität der Regierung verspricht. Gemeinsam ist den Protagonisten der „dritten“ Generation, die heute China regieren, daß niemand eine Volksverehrung wie zu Zeiten Maos oder Dengs erwarten kann – eine Tatsache, die der Partei offenbar nicht schadet. Schon die Wochen vor dem Parteitag waren von einer merklichen Liberalisierung geprägt: Politikprofessoren durften ungestraft der Parteilinie widersprechen und Demokratie predigen. Das war seit der blutigen Niederschlagung der Studentendemonstrationen im Juni 1989 nicht erlaubt gewesen. In der Hauptstadt fanden wieder Rockkonzerte statt, die jahrelang verboten waren. Ebenso außergewöhnlich war die Tatsache, daß kurz vor dem Parteitag eine deutsche Delegation Tibet besuchen durfte. In der Vergangenheit igelte sich China während der Parteikongresse ein und brach die Kontakte zum Ausland ab. Alle Anzeichen sprechen deshalb dafür, daß die Fraktionskämpfe zwischen Realos und Fundamentalisten zugunsten der Realos entschieden sind. Noch 1992 war die Lage ganz anders: Deng Xiaoping mußte im Frühjahr durch China reisen und Propaganda für die Wirtschaftsreformen machen, um den Parteitag im Herbst auf seine Linie zu bringen. Diesmal reichte es der Parteiführung, über die üblichen Medienkanäle die für den Parteitag entscheidene Debatte über die Zukunft der Staatsbetriebe vorzubereiten.

China steht in der wohl wichtigsten Phase seiner Wirtschaftsreformen. Die noch von Deng Xiaoping verfügten Maßnahmen haben dem Land über zwanzig Jahre lang das weltweit höchste Wirtschaftswachstum beschert. Über die Hälfte der von Deng erdachten „sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ befindet sich heute in privater Hand. Der Rest aber bereitet Probleme: Trotz Subventionen in der Höhe von mehr als fünf Milliarden Mark 1996 drückten die Staatsbetriebe mit Verlusten von annäherend zehn Milliarden Mark auf das nationale Budget. Die Staatskasse aber ist ohnehin mit nicht mehr rückzahlungsfähigen Krediten aus dem staatlichen Finanzsektor in der gigantischen Höhe von (im Westen geschätzten) tausend Milliarden Mark belastet. Damit fehlen der Regierung die nötigen Mittel, um ein Sozialsystem aufzubauen, daß Leistungen der Staatsbetriebe ersetzen kann. Außerdem fehlt der Zentrale die Kraft, das Wirtschaftswachstum von den Küsten ins verarmte Hinterland zu tragen. In dieser Situation kann der Parteitag kaum über neue Wirtschafts- und Sozialprogramme entscheiden. Er kann aber über die zukünftigen Eigentumsformen der Unternehmen entscheiden: Auch erfolgreiche Betriebe, die nach privatwirtschaftlichen Maßstäben geführt werden, gehören heute mehrheitlich teilweise dem Staat.

Zhu Rhongji wird dem Parteitag deshalb seine Reformvision unterbreiten: Umwandlung aller Staatsbetriebe in private Aktiengesellschaften mit starken Belegschaftsbeteiligungen. Das mag in vielen osteuropäischen Staaten vertraut klingen. In einer Volkswirtschaft mit einem prognostizierten Wachstum von zehn Prozent und dem für westliche Unternehmen unwiderstehlichem Anreiz des größten Marktes der Welt bestehen jedoch andere Voraussetzungen. Mit anderen Worten: Das Projekt der Parteitags könnte sein, eine Privatwirtschaft zuzulassen, in der die Arbeiter am Entscheidungsprozeß beteiligt sind. Selbst wenn die kommunistische Staatsführung weiterhin die Rahmenbedingungen setzt, wäre dies kein uninteressantes Experiment. Ein Beispiel für diese Art der Reform ist der größte Unterwäscheproduzent, Aimer Garments. Noch vor drei Jahren war die Textilmanufaktur von chronischen Verlusten geplagt. Dann wurde eine Aktiengesellschaft gegründet, in der der Staat gerade noch zwanzig Prozent der Anteile behielt, Topmanager Zahng Rongming 16,5 Prozent übernahm und der Rest der Aktien an die Arbeiter verteilt wurde. Seitdem hat sich der Umsatz versechsfacht und die Belegschaft verdoppelt. Angestellte bei Aimer Garments verdienen heute durchschnittlich fast 3.000 Mark im Jahr – das doppelte des Durchschnittseinkommen in der Hauptstadt.

Ob das Pekinger Unterwäschemodell in China eine Chance bekommt, hängt nicht zuletzt von der Personalpolitik des Parteitags ab. Der scheidene Premierminister Li Peng, der früher zu den Wortführern der Fundamentalisten zählte, braucht nach zwei Amtsperioden eine neue Stellung. Wird er Parlamentspräsident oder erhält einen neuzuschaffenden Posten als Parteisekretär, von wo er die Wirtschaftspolitik nicht beeinflußt, dann hätte Zhu Rhongji als neu zu krönender Premier alle Hände frei, um den Staat zu enteignen, und der Parteitag hätte sich gelohnt. Georg Blume, Peking