Die wirklich letzte Überlebende

■ „Hamletbüro zwei“ mit Hatchers „Scotland Road“ im Theaterprobenhaus Mitte

„Titanic Survivor found on Iceberg. She thinks it's April 15, 1912 – and her dress is still wet.“ Als Jeffrey Hatcher, in New York lebender Schauspieler und Dramatiker, diese wunderbare Boulevard- Schlagzeile las, war er begeistert – und schrieb innerhalb von einem Monat das Stück „Scotland Road“, das als bislang einziges von ihm ins Deutsche übersetzt vorliegt. Die Gruppe „Hamletbüro zwei“ und ihre Regisseurin Katrin Henschel haben daraus – nach „Hamlet im kleinen Wasserspeicher“ – ihre zweite Produktion gemacht.

Spielort ist diesmal der Dachboden im Theaterprobenhaus Mitte. Stimmungsvolles Gebälk, rohes Mauerwerk. An der Wand die surreale Titanic-Meldung, kongenial eingerahmt von echten Ost- Sprüchen der Sorte „Wir grüßen die Jugend“. Als Grenze zum Publikum hat Bühnenbildner (und Theater-Fotograf) David Baltzer einen gelben Balken auf den Boden gelegt. Neonlicht, ein Sofa, ein Sessel, ein Flügel. Die Tür: gelb wie der Balken. Das Hemd des schlaksigen Mannes, der eintritt: perfekt passendes Grün. Genau der gleiche Farbton wie die Schuhe der zierlichen Dame mit Turmfrisur, die als zweite hereintänzelt. Dazu eine Dame mit Unterrock und Schnürstiefeln: die Titanic-Passagierin.

Jetzt wäre es Zeit, das gute Design durch eine gute Story zu ergänzen. Doch die läßt auf sich warten. Statt dessen: endlose Exposition. Die silberne Lady – elegant und wohlartikuliert: Katrin Heinau – übernimmt die Rolle der Ärztin Halbrech, in deren Obhut man das schweigende Überlebenswunder gegeben hat. Ihr Besucher John, von Dietrich Oberstädt mit einem Tick Slapstick versehen, ist ein Untergangs-Besessener, der mit allen Mitteln versucht, die „Wahrheit“ über die Eisberg-Frau herauszubekommen. Carolien Zimmermann als etwas phlegmatische Zeugin der Apokalypse schweigt erst und erzählt dann doch: von der „Scotland Road“, dem Weg vom Zwischendeck ganz nach oben auf dem Luxussuperschiff Titanic. Bis John zu John Jakob Astor wird und sich selbst auf die Titanic imaginiert, und Dr. Halbrech zu Miss Kittle, der wirklich letzten Überlebenden.

Und nachdem derart geklärt ist, wer wer ist und wer wer nicht ist, kommt auch schon nichts mehr. Während Jeffrey Hatchers Vorlage aus der absurden Zeitungsmeldung ein Rätsel macht, wollte das Hamletbüro den Krimi durch ein Spiel um Rollen und Identitäten, ein kleines Psychodrama, ersetzen. Doch statt filigranem Schauspielertheater eine merkwürdige Leere: nichts als spannungslose Wiederholung. „Wer ist man denn wirklich“ fragt John. Wer will denn das wissen. Elke Buhr

Bis 14.9., 21 Uhr; am 26.9. um 22 Uhr, Koppenplatz 3–4