Wie eine Auster ohne Sand

Aus dem Schwulenzentrum „SchwuZ“ kommen poetische Hilferufe. Wegen einer Steuerrückzahlung von über 100.000 Mark droht dem alternativen Projekt das Aus. Eine Rettungskampagne läuft an  ■ Von Jens Rübsam

„Es steht schlecht um das SchwuZ. Es sieht katastrophal aus. Oder, um es aktuell zu sagen: Das Oderhochwasser war ein Scheiß dagegen.“ So steht es geschrieben auf einem Flyer, relativ nüchtern. Erst am Ende wird es poetisch, so poetisch wie ein Hilferuf eben sein kann: „Die Berliner Schwulenszene ohne das Schwulenzentrum wäre wie eine Auster ohne Sand.“ Naja, denkt man sich: Wieder ruft ein alternatives Projekt eine Rettungskampagne aus. Wir kennen ähnliches aus dem eigenen Haus.

Diesmal aber ist die Sache ernst. „Wenn nichts passiert, könnte Weihnachten Schluß sein“, sagt Ingo Spanka, Vorstandsmitglied des Vereins SchwuZ e.V. Steuerschulden drücken, über 100.000 Mark, und dem neugewählten Vorstand sitzt die Frage im Nacken: Wie können die Schulden schnellstens beglichen werden? Noch haben Ingo Spanka und Ralf Förstner keine Antwort, aber schon einige Ideen: Spendenaktion und Benefizkonzert, kurz: Hoffen auf die Solidarität der Gemeinde. Denn Fakt ist: Das Schwulenzentrum, seit Jahren Ort lebendiger schwuler Kultur, soll erhalten bleiben. Auch zukünftig soll sich das SchwuZ unterscheiden von Party- Locations wie Connection, SNAX oder Terminal. Einerseits.

Andererseits ist den SchwuZlern klar: Nur vom Image kann man auf Dauer nicht leben – wehmütig denken viele an Melitta Sundström zurück, die erst durch Auftritte im SchwuZ zur Soultunte Nummer eins wurde. Und ob man von dem Image, schwuler Ökoladen und Schlagerbude, noch zehren kann, ist eine andere Frage.

Das finanzielle Dilemma begann Anfang 1995. Das SchwuZ öffnete am Mehringdamm, „ein fürchterliches Kellerloch“, wie sich Ralf Förstner erinnert, alles andere als eine passender Ort für Disko, Theater und andere kulturelle Veranstaltungen. Es wurde gebaut und gebaut, „eigentlich die ganze Energie in den Ausbau gesteckt“. Ehrenamtler waren am Werk, und das Startkapitel bestand aus Darlehen „bewegter Schwuler“, die daran interessiert waren, das alternative Projekt zu erhalten.

Was fehlte, war die wirtschaftliche Basis, zum Beispiel die Gründung einer GmbH. Die wurde erst im Oktober letzten Jahres realisiert. Bis dahin wurde das Projekt, unter anderem auch die gastronomische Versorgung, von dem nicht gemeinnützigen Verein getragen, „der eine wesentlich höhere Steuerlast zu tragen hat als eine Kapitalgesellschaft“. So jedenfalls begründen Ingo Spanka und Ralf Förstner die nun vom Finanzamt in Rechnung gestellte sechsstellige Summe und die drohende Zwangsvollstreckung zum Jahresende.

Freilich, auch den SchwuZlern war klar, daß das Finanzamt irgendwann einmal vor der Tür stehen würde. Nun ist es soweit, und dreckige Wäsche will man nicht waschen. Seit Juli gibt es einen neuen Vorstand und die Hoffnung, irgendwie aus der wirtschaftlichen Misere rauszukommen. Die hat ihren Grund auch darin, daß die Schwestern nicht mehr so reichlich kommen früher, Einnahmen bleiben aus. „Die Zeiten haben sich geändert. Das Stammpublikum, das früher ins SchwuZ kam, ist älter geworden und geht nicht mehr jede Woche aus“, sagt Ralf Förstner. Und die Jüngeren verbinden das SchwuZ noch immer mit Begriffen wie Öko-, alternativer Studentenladen und Schlagerbude – und ziehen andere Clubs vor.

Ingo Spanka weiß um den Spagat, in dem sich das SchwuZ befindet. Neue Acts wie House-Boys und Cocker-Keller laufen bereits, aber Traditionelles, auch Alternatives soll bewahrt werden. Auch weiterhin soll jungen Künstler eine Bühne geboten, sollen Theaterveranstaltungen durchgeführt werden, auch weiterhin soll der Club 69, eine Schlagerparty, jeweils am ersten Freitag im Monat, laufen.

Die Frage bleibt: Ist Weihnachten Schluß? „Nichts ist klar“, sagt Ingo Spanka. Gegenwärtig wird die Rettung vorbereitet: Eine Benefizveranstaltung, keine Jammerveranstaltung, sondern eine „mit Klasse“, eine Spendenaktion und eine Unterstützerliste.