Das Tier in dir: Christian Wolz singt und schreit die "Schmerzarie"

Vorschlag

Das Tier in dir: Christian Wolz singt und schreit die „Schmerzarie“

Jeden Hohlraum seines Körpers macht der Sänger Christian Wolz zum musikalischen Resonanzkasten. Einmal rhythmisiert, kann der Atem vom lieblichsten Hauch zum letzten herausgeschrienen Lebenszeichen werden. Der 30jährige Autodidakt hat sich darin ein riesiges Spektrum an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten geschaffen. Vielfach wurden seine selbstverausgabenden schweren, immer an den Untergang erinnernden Gesangsexperimente, die den Schrei unendlich variieren, mit Diamanda Galas dunkler Orgiastik verglichen. Der Vergleich ist jedoch zu groß, und er erstickt Wolz' Suche nach Authentizität.

Bei seinem neuen Werk „Schmerzarie“, das er derzeit im Theater am Halleschen Ufer aufführt, schlägt Wolz neue Wege ein, öffnet die Bandbreite sinnlicher Wahrnehmung hin zum Lebendigeren, bringt Fotos, versöhnliches Licht und Harmonie mit ins Spiel. Die Bühne wird in ihrer ganzen Größe genutzt. Zwischen zwei riesigen Leinwänden, auf die Bilder von Menschen projiziert werden, deren eine Körperhälfte immer die Spiegelung der anderen ist – was mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt –, steht Wolz und singt sich von Schmerzursprung zu Schmerzauflösung. Durch elektronische Bearbeitung seiner Stimme entsteht dabei eine Klangdichte, die auf eine dramatische – und dadurch auch überzeichnete – Weise an Oper erinnert.

Dabei ist Wolz alles in einem: Sänger, Instrumentalist, Fotograf, Darsteller, Regisseur. Der Zusammenhang zwischen den gespiegelten Personen auf den Fotos mit dem teils animalischen, teils chorhaften Gesang oder der Lichtregie, die den Sänger mal in den Vordergrund, mal in den Hintergrund spielt, wird nicht erklärt, wenngleich jedes Element für sich ausstrahlt.

Offen bleibt in diesem Zusammenhang, warum sich Christian Wolz wie in seinen früheren Aufführungen auch in der „Schmerzarie“ bis zur Unkenntlichkeit entstellt und dadurch dem Publikum entzieht. Warum steht er nicht als Mensch auf der Bühne, dessen Stimme das Unmenschliche herausschreit und es in Versöhnliches modelliert, sondern als Untoter mit zu abstehenden Zacken modellierten Haaren und nacktem, goldgelacktem Oberkörper? Seine Augen trägt er als verdunkelte Höhlen zur Schau. Distanz aber gibt es in dem Stück – trotz bombastischer Wirkung – genug. Waltraud Schwab

Weitere Aufführungen: 13. und 14.9., 21 Uhr, Theater am Halleschen Ufer