Jelzin als Schlichter

■ Duma vertagt Mißtrauensvotum – und die Kommunisten atmen auf

In allerletzter Minute erschien der friedensstiftende Geist, Boris Jelzin, in der Rolle des guten Zaren und entknäulte den Konflikt, der Parlament, Regierung und nicht zuletzt das Land in eine folgenschwere Konfrontation getrieben hätte. Jelzins Versprechen, auf die Regierung einzuwirken und in einer Schlichtungskommission mitzuwirken, um Haushaltskorrekturen der kommunistischen Opposition mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, wurde von den Abgeordneten der größten Oppositionspartei erleichtert aufgenommen. Nach Jelzins eindringlichem Appell entschied die Mehrheit der Duma binnen Minutenfrist, das angedrohte Mißtrauensvotum zu vertagen.

Eigentlich wollte keiner der Initiatoren der Vertrauensfrage – weder die reformorientierte Jabloko-Fraktion noch die Mehrheit der kommunistischen Fraktionäre – die Auseinandersetzung mit der Regierung auf die Spitze treiben. Mit Ausnahme einiger ultraradikaler Kommunisten, denen weniger am Haushalt als am Kopf ihres Vorsitzenden Gennadi Sjuganow gelegen ist. Dessen innerparteiliche Position ist seit Monaten schweren Anfechtungen ausgesetzt. Altkader der Partei und unversöhnliche Genossen in den Grassroot- Organisationen der KP werfen dem Parteichef vor, sich allzu gefügig der Macht zu beugen. Oder im kommunistischen Klartext: Verrat zu üben. Die Massenbasis schwindet in den Provinzen, wo es der Partei nicht einmal mehr gelingt, sich an die Spitze von Streikbewegungen zu mogeln. So mußte er also ran und am Vorabend des 80. Jahrestages der Oktoberrevolution Entschlossenheit zeigen und den frustrierten Mitgliedern beweisen, wozu die kollektive Vernunft noch imstande ist. Zum Unbehagen der eigenen Abgeordneten, die nur durch Androhung drakonischer Sanktionen dazu bewegt werden konnten, Fraktionsdisziplin zu üben und für die Absetzung der Regierung zu stimmen. Ohnehin ging die Parteiführung davon aus, daß der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit finden würde. Als Rußlands Paradedemokrat, Jabloko-Chef Grigori Jawlinski, listig ankündigte, dem Mißtrauensantrag mit 48 Stimmen beizuspringen, wurde aus dem propagandistischen Bluff Ernst. Die Sache entwickelte eine Eigendynamik, die Premier Tschernomyrdin noch beschleunigte. Seine Ankündigung, nach dem ersten Wahlgang – der verfassungsrechtlich nicht bindend ist – zurückzutreten, versetzte die KP-Deputierten in Panik. Mit der zunächst harmlos gemeinten Mißtrauensbekundung hätten sie sich in die unwirtliche Provinz, in ihre Wahlkreise, zurückkatapultiert. Ohne Aussichten, bei Neuwahlen wieder dabeisein zu können. Als Jelzin ihnen den Platz am Futtertrog rettete, sah man manch einen Kommunisten drei Kreuze schlagen. Die Prozedur bewies indes eins: Rußlands Unzufriedene haben keine seriöse Interessenvertretung. Gennadi Sjuganow kommt der Rückzug womöglich teuer zu stehen. Die orthodoxen Hardliner, assistiert von der radikalen Basis, werden seinen Kopf fordern. Sie wünschen schnelle Neuwahlen, bevor ihr überalterter Wählerstamm das Zeitliche segnet. Klaus-Helge Donath