Später zirpen Grillen

■ Aus dem Orphtheater hat sich ein Theater Moriba abgespalten, das in den Sophiensaelen „La Casa“ zeigt – nach Müllers „Todesanzeige“

Erst mal kräftig schreien im Dunkeln. Freimachen, loslassen, ja, genau so. Eine Frau fuchtelt mit dem langen Messer, murkst die männliche Puppe ab, schleift sie unter die mit Staub bedeckten Bühnenelemente. Auf dem Rücken liegend wird geträumt, wie sonst? „TRAUM Ich gehe in einem von Bäumen durchwachsenen Haus, die Wände von Bäumen gesprengt und gehalten, eine Treppe hinauf, über der nackt eine riesige Frau mit mächtigen Brüsten, Arme und Beine weit gespreizt, an Stricken...“

Ein hysterisches Lachen setzt ein, die Frau am Boden (Stephanie Kühn) traut dem letzten Abschnitt aus „Todesanzeige“ von Heiner Müller nicht mehr. Bei Müller kriecht jemand in die Frau zurück, der Tod gleichzeitig als Anfang. In dem Ein-Frau-Stück „La Casa“ (Regie: Thomas Roth) ist das wilde Weibliche ein fremder Kontinent, der den Tod verdrängen, den Anfang ermöglichen soll.

Anfang auch für das Theater Moriba. Nach sechs Jahren Arbeit beim Orphtheater hat sich Regisseur Roth mit einer Gruppe abgespalten. Sie seien an bewegungsintensiverem Theater interessiert gewesen, meint Roth, der das Orph mitgründen half. Nach einem Jahr Theaterarbeit beim Teatro Buen Dia in Havanna kehren Stephanie Kühn und Roth nun mit „La Casa“ und einem neuen Namen zurück. Moriba heißt in der Yoruba-Sprache der schwarzen Bevölkerung Kubas etwa: Umschließung, Geheimnis. Rätselhaft allerdings an diesem Abend ist eher der prätentiöse Gestus, der Auszüge aus Müllers Text mit reichlich klischierten Bildern des Fremden verbindet. Mehrmals führt Kühn einen rituellen Messertanz vor, die Zunge weit hinausgestreckt, dazu Buschgetrommel aus dem Computer (Musik: Trötsch). Rudert sie ins ferne Land, hören wir Möwen und Wellen, gerät sie in ein Guerilla- Gebiet, gibt's Gewehrsalven. Später zirpen Grillen. Die Tonspur als Bebilderung. Eine Eingeborenen-Figur trägt Afro-Perücke und möchte gern die Klunker der Besucherin, und irritiert sucht man nach einer Brechung dieser wohl unfreiwillig rassistischen Bilder. Die Bewegungen kann man expressiv nennen, oder auch überspannt, allzu getrieben, ohne Bezug zur Situation. Kühn ist Schwerstarbeiterin. Das bleibt immer sichtbar.

Da, wo die Inszenierung mit Müller kämpft, statt ihn ins private Fotoalbum zu kleben, entsteht kurz Spannung: Als das neue Land zumindest geographisch erreicht ist, führt die Frau flüchtige Gespräche. Sie zeigt ein Foto des (toten?) Mannes, und der Müller-Text beginnt ihr aufzustoßen. Es brüllt aus ihr raus, unkontrolliert, gewalttätig, sie lächelt dabei entschuldigend und versucht, das gutturale Wort-Monster zu bändigen. Eine einfache, aber stimmige Lösung.

Nur wenig später aber blinkt das Messer wieder im bösen Dschungelbuchtanz. Auch wenn die Frau bei den Wilden letztlich nicht findet, was sie sucht – das wäre ja noch schöner –, und der Tod sie ins Haus zurückruft: Es bleibt der Eindruck eines privaten Workshops auf Kuba, Heiner Müller war im Gepäck, nur verstand der kein Spanisch. Tobi Müller

Bis 6.11., Do.–So., 20 Uhr,

Sophiensaele, Virchowsaal,

Sophienstr. 18