Eine Kette von Ungereimtheiten

Die Affäre um den Grundstücksverkauf an den ehemaligen Springreiter Alwin Schockemöhle ist noch nicht aufgeklärt. Offen ist unter anderem, warum Schockemöhle ohne Bieterverfahren zum Zuge kam und der Vertrag überstürzt unterzeichnet wurde  ■ Von Dorothee Winden

Die Eile, mit der Beamte der Senatsfinanzverwaltung den umstrittenen Kaufvertrag von 244 Hektar Land um das Stadtgut Stolpe zum Abschluß brachten, macht stutzig. Der Vertrag wurde am 28. August unterschrieben. Einen Tag zuvor waren im Vermögensausschuß hartnäckige Fragen zu den Stadtgütern gestellt worden. Der CDU- Abgeordnete Hubert Vogt bohrte nach, ob die dem Ausschuß vorliegende Liste der verkauften Stadtgüterflächen auch vollständig sei. Dies wurde von einem Vertreter der Senatsverwaltung für Finanzen bejaht. Doch das Areal um Stolpe, auf dem der ehemalige Turnierreiter Alwin Schockemöhle eine Traberzucht aufbauen will, stand nicht auf der Liste. Am Tag darauf wurde der Vertrag unterzeichnet und notariell beurkundet. Der Verkauf von Stadtgüterflächen muß dem Vermögensausschuß aber vorgelegt werden, bevor der Vertrag notariell beurkundet wird.

Für die bündnisgrüne Abgeordnete Michaele Schreyer ist der zeitliche Ablauf „keine Zufälligkeit“. Wozu die Eile, wo doch entscheidende Passagen des Vertrags noch nicht ausgehandelt waren? Nicht einmal die Bewertung des Grundstücks durch die Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen lag zu diesem Zeitpunkt vor. So wurde kurzerhand der Preisvorschlag des Käufers in den Vertrag geschrieben: 2,4 Millionen Mark. Der endgültige Kaufpreis sollte späteren Verhandlungen vorbehalten bleiben. Ein ungewöhnliches Verfahren. Wollte hier jemand Fakten schaffen, ehe ein fragwürdiges Geschäft an den Einwänden von Abgeordneten hätte scheitern können?

Immerhin geht es um eine Fläche von 2,4 Millionen Quadratmetern. Unterschrieben ist der strittige Vertrag von einem Oberamtsrat der Finanzverwaltung. Gegen ihn und den Referatsleiter der Abteilung Liegenschaften in der Finanzverwaltung läuft ein Disziplinarverfahren. Und Abteilungsleiter Hans-Joachim Legermann hat eine solche Untersuchung gegen sich selbst beantragt.

Eine Kette von Ungereimtheiten ist noch ungeklärt. Statt eines Wertermittlungsgutachtens hatte die Senatsfinanzverwaltung bei der Bewertungsstelle der Bauverwaltung nur angefordert, die „Angemessenheit“ des Kaufvertrags zu überprüfen. Der von Rechtsanwalt Hartmut Fromm ausgehandelte Vertrag weicht in vielen Punkten vom Mustervertrag der Senatsfinanzverwaltung ab.

So wurde die Wertausgleichsklausel, die eine Beteiligung des Landes an einer Wertsteigerung des Geländes sicherstellen soll, so formuliert, daß sie völlig unterlaufen wird. Wenn Ackerland zu Bauland umgewandelt wird, muß Schockemöhle den Wertzuwachs nur abführen, wenn er Teile des Geländes vor Ablauf von 15 Jahren verkauft. Wartet er solange, kann er den Gewinn einstreichen. Die Wertausgleichsklausel wird außerdem durch mehrere Ausnahmeregelungen aufgeweicht: Schockemöhle könnte jährlich 5.000 Quadratmeter verkaufen, ohne eine Mark an das Land abführen zu müssen.

Das gleiche gilt für den Verkauf von Flächen an Mitarbeiter, den Tausch von Landflächen oder den Rückverkauf an die öffentliche Hand. Auch kann Schockemöhle bis zu 70 Prozent seiner Gesellschaft verkaufen, ohne daß ein Wertausgleich fällig wird.

Die Umwandlung von Ackerland zu Bauland ist allerdings nicht so ohne weiteres möglich. Im Landesentwicklungsplan und im Flächennutzungsplan ist sie derzeit ausgeschlossen. Der Verkauf des Ackerlandes um Stolpe verstößt allerdings gegen die Senatspolitik, keine Flächen im Umland zu verkaufen. Denn Wohnungen oder Gewerbegebiete dort entzögen Berlin Steuerkraft.

Doch auch für das Ackerland sei der Preis von ursprünglich 92 Pfennig pro Quadratmeter niedriger als bei vergleichbaren Landwirtschaftsflächen, die der Senat für 3,50 Mark verkauft habe, kritisiert die bündnisgrüne Abgeordnete Michaele Schreyer. Bei der Nachbewertung, die zu einem Gesamtpreis von 10,6 Millionen Mark führte, hielt die Bauverwaltung aber am Preis von 92 Pfennig für Ackerland fest. Der höhere Kaufpreis kommt vor allem durch einen höheren Anteil von sogenanntem Rohbauland zustande. Für 110.000 Quadratmeter hält die Bauverwaltung 70 Mark pro Quadratmeter für marktgerecht. Doch nach Ansicht der grünen Abgeordneten Schreyer handelt es sich auch bei dem deutlich höheren Kaufpreis immer noch um einen „Goldschöpfungsvertrag“.

Im dunkeln liegt noch, wie das Geschäft eingefädelt wurde: Wie konnte Schockemöhle als einziger Kaufinteressent ohne Ausschreibung zum Zuge kommen?

Für den Verkauf des Gutshofs Stolpe und die dazugehörige Ackerfläche fand dagegen ein beschränktes Bieterverfahren statt. Im März hatte Finanzstaatssekretär Peter Kurth (CDU) die Grundsatzentscheidung getroffen, daß Schockemöhle und die zur Deyle- Gruppe zugehörige Deutsche Immobiliengesellschaft (DIG) den Zuschlag für die beiden benachbarten Flächen erhalten sollten. Während Staatssekretär Kurth über den Fortgang der DIG-Vertragsverhandlungen unterrichtet war, informierte ihn die Verwaltung nicht über die weitere Entwicklung des Schockemöhle-Geschäfts. Von dem unterzeichneten Kaufvertrag mit Schockemöhle erfuhr er nach eigenen Angaben erst am 17. September 1997. Beide Verkäufe sind von Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) auf Eis gelegt worden, bis die Umstände des Schockemöhle- Geschäfts geklärt sind.

Wie DIG-Direktor Klaus Paschke erläuterte, will die DIG den Gutshof Stolpe wiederherrichten und anstelle der Scheunen und Ställe etwa 120 Wohnungen errichten. Der um das Gut liegende Park soll öffentlich zugänglich werden. Als Kaufpreis für den Gutshof hat die DIG 6,8 Millionen Mark angeboten. Geplant ist in der Nähe der bestehenden 18-Loch-Golfanlage außerdem ein Golfodrom, d.h. eine Übungsanlage.

Ob der Kaufvertrag mit Schockemöhle überhaupt noch zustande kommt, ist fraglich. Falls er sich mit der Senatsfinanzverwaltung nicht auf einen Preis einigen kann, hat er ein Rücktrittsrecht von dem Vertrag. Für Berlin ist jedoch in jedem Fall ein Imageschaden entstanden. Für Investoren wirkt es äußerst abschreckend, wenn umstrittene Kaufverträge öffentlich verhandelt werden. Zumindest darin sind sich SPD und CDU einig.