Bundesliga
: Bittere Gewißheit um die eigene Blödheit

■ Das 3:3 gegen Stuttgart nährt den Verdacht, daß Bayern wohl zwangsläufig Meister wird

München (taz) – Gleich müßten sie kommen, die Könner der Fußballunterhaltung, die diesen kalten Oktoberabend zu einer hinreißenden Show des Ballsports veredelt hatten. Zufriedenheit glänzte in den Gesichtern der Reporter, die ungeduldig darauf warteten, ihre Komplimente loszuwerden.

Hatte ja nichts gefehlt beim Treffen des FC Bayern München, Deutscher Meister, gegen den VfB Stuttgart, Pokalsieger: Sechs Treffer, gleich verteilt auf beide Konkurrenten (in Zahlen: 3:3), gab es zu sehen, einen klirrenden Kampf zweier siegeshungriger Widersacher, kein dröges Versteckspiel im Mittelfeld.

„Zehn gegen elf ist...

62.000 Menschen im Olympiastadion waren sich einig: Lob, Lob, Lob. Doch dann trat Oliver Kahn, der großmächtige Torwart des FC Bayern, vor das wuselnde Volk der Begeisterten und blickte so düster, wie es sein blasser Teint eben zuließ. Ein prächtiger Abend? Ein furioser Auftritt? Ein Klassekick? Von wegen, sprach Kahn und brach die gute Stimmung: „Das war kein hervorragendes Spiel.“

Da fühlte man sich entlarvt als unkundiger Gaffer, dem schon seichte Unterhaltung zum Vergnügen gereicht. Denn Kahn hatte recht. Natürlich pries auch er die Moral seiner Vorderleute, den „genickbrechenden Rückstand“ von 2:3 (84.) noch wettgemacht zu haben durch einen Kopfstoß des Verteidigers Samuel Kuffour. Zumal sie früh zu einer Neunerbande geschrumpft waren, weil Manndecker Markus Babbel als letzter Mann mit der Hand in einen Stuttgarter Angriff gegrabscht und dafür von Schiedsrichter Heynemann die rote Karte bekommen hatte (4.).

Doch während Bayern- Coach Giovanni Trapattoni die Schwierigkeit der Aufgabe hervorhob („zehn gegen elf gegen Stuttgart ist nicht einfach“), mochte Kahn nicht seinen Blick verschließen vor den Gefälligkeiten, die sich die Teams gegenseitig bereiteten: „Es waren zu viele Fehler auf beiden Seiten.“ Wobei Kahn die der Stuttgarter verwunden hätte, wären nicht auch seine Teamkollegen mit Fahrlässigkeiten aufgefallen. Zweimal im Vorteil – 1:0 durch Carsten Jancker (13.) und 2:1 durch Dietmar Hamann (60.) – und trotzdem die Punkte nicht in Gewahrsam gebracht, das fand Kahn ehrabschneidig: „Als FC Bayern muß man so 'ne Führung über die Bühne bringen.“ Schließlich hat man sich fest vorgenommen, wieder deutscher Meister zu werden.

Doch auch wenn Giovane Elber die Chance zum 2:0 fahrlässig ausließ, Michael Tarnat Murat Yakins Kopfstoß ins eigene Netz abfälschte (14.), Thomas Berthold vor seinem Weitschuß zum 2:2 freie Bahn genoß (63.) und Jonathan Akpoborie von allen Bewachern verlassen das 3:2 köpfeln durfte – zur Heimniederlage reichte es nicht.

Das Spiel gegen den VfB fördert den Verdacht, daß die Münchner so viele Fehler gar nicht machen können, als daß es nicht doch wieder etwas würde mit der Titelverteidigung. Zwar schreitet der 1. FC Kaiserslautern derzeit mit vier Punkten Vorsprung voran, aber die Zeit wird kommen, in der das Pfälzer Personal in Atemnot gerät. Und bis es soweit ist, verpassen es die Mitkonkurrenten, den FCB vom Sockel zu stürzen. Borussia Dortmund und Leverkusen, einst harte Bayern-Widersacher, haben sich vorerst ins Mittelmaß verabschiedet.

Die Stuttgarter, in der Vorsaison vierte Kraft im Quartett der Titelanwärter, haben am Mittwoch bewiesen, daß sie zu dämlich sind, Bayern empfindlich zu schaden. Wie hätte man ihnen den Meister denn noch zurichten sollen? Ein Mann mehr und sechs Minuten vor Schluß 3:2 in Front, das mußte Vorgabe genug sein, um die waidwunden Münchner niederzuhalten. Aber Stuttgarts Deckung verhinderte rechtzeitig den drohenden Sieg: Akpoborie ließ Kuffour beim Kopfstoß gewähren, wie Kuffour zuvor ihn bei seinem 2:3-Treffer in Frieden gelassen hatte.

...nicht einfach“: Trapattoni Foto: Reuter

Trainer Joachim Löw bekannte verzweifelt: „Wir haben es verpaßt, den Bayern den Todesstoß zu geben.“ Der umjubelte Abend hatte den Stuttgartern bittere Gewißheit über die eigene Blödheit verschafft. Gnadenlos selbstkritisch sprach deshalb Kapitän Frank Verlaat: Könne ja sein, daß die Fähigkeit, solche Spiele noch zu wenden, den Münchnern neuerlich zum Titel verhelfe, aber: „Das liegt nicht an den Bayern, das liegt an ihren Gegnern.“ Thomas Hahn

Bayern München: Kahn – Helmer – Babbel, Kuffour – Basler, Hamann, Scholl (29. Fink), Nerlinger, Tarnat – Jancker, Elber (88. Gerster)

VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Haber, Verlaat, Berthold – Hagner, Soldo, Balakow, Yakin, Poschner – Bobic, Akpoborie

Zuschauer: 62.000 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Jancker (13.), 1:1 Yakin (14.), 2:1 Hamann (60.), 2:2 Berthold (62.), 2:3 Akpoborie (68.), 3:3 Kuffour (84.)