■ Grünen-Parteitag: Dilettantismus im Umgang mit Wahlprogramm
: Wenig Achtung vor dem Wahlvolk

Wenn alles nach den Wünschen der Organisatoren verläuft, dann haben die Grünen einen gemütlichen Parteitag vor sich. Ein zünftiger Krach schafft überhaupt erst das Klima, in dem sich Harmonie aufs neue wohltuend entfalten kann. Das kennt fast jede Familie. Nun ist aber die Stadthalle in Kassel nicht der heimische Küchentisch. Die vorgesehene Tagesordnung der Bundesdelegiertenkonferenz ist auch nicht das Programm für einen bunten Abend, sondern der vorläufige Höhepunkt des bestürzenden Dilettantismus, der in den letzten Wochen den Umgang mit dem eigenen Wahlprogramm bestimmt hat.

Dabei spielt die Form ausnahmsweise eine wichtigere Rolle als die Sache. Inhaltlich gibt es gute Gründe dafür, daß sich die Grünen in Kassel vorwiegend mit wirtschaftlichen Fragen und nicht mit der Außenpolitik befassen wollen. Die Einstellung der Partei zur Nato wird im Wahlkampf nicht kriegsentscheidend sein. Aber sie hat eine zentrale Rolle gespielt in dem öffentlich ausgetragenen Streit der letzten Wochen über die Leitlinien grüner Außenpolitik, der sogar in dem Vorwurf aus den eigenen Reihen gipfelte, die Partei sei regierungsunfähig. Eine Kontroverse, die mit so harten Bandagen geführt wurde, läßt sich nicht mit der Formel aus der Welt schaffen, nun müsse die Diskussion „versachlicht“ werden.

Es zeugt von wenig Achtung gegenüber dem eigenen Wahlvolk, erst eine solche Debatte loszutreten, um sie dann, wenn der Ruf der Partei beschädigt ist, aufs nächste Jahr zu vertagen. Wie wünschen sich grüne Parteistrategen eigentlich, daß ihre Anhänger in außenpolitischen Diskussionen argumentieren? Tut uns leid, dazu können wir noch nichts sagen, über das Programm wird erst im März entschieden?

Wenn prominente Grüne aller Flügel, wie sie behaupten, vom Verlauf der Debatte und der großen Resonanz darauf überrascht worden sind, dann wirft das ein trübes Licht auf ihre Kenntnis der eigenen Partei und ihr Verständnis einer Mediengesellschaft. Es war schließlich nicht das erste Mal, daß im Bereich der Außenpolitik ein tiefer Riß quer durch die Partei sichtbar wurde. Vor diesem Hintergrund war die Planung des zeitlichen Rahmens für das Wahlprogramm von Anfang an naiv. Erstmalige Beratung eines überarbeiteten Entwurfs auf dem Länderrat im Januar – das konnte nicht gutgehen.

Mindestens aber hätten die Organisatoren des Kasseler Parteitags nach Ausbruch des Streits flexibel reagieren und Zeit für eine außenpolitische Debatte auf der Bundesdelegiertenkonferenz vorsehen müssen. So wie die Dinge jetzt stehen, können die politischen Gegner der Grünen über Monate hinweg aus den verschiedenen Positionen die auswählen, die ihnen gerade gut ins Konzept paßt. Jede Entgegnung wird da schwierig, weil eine gemeinsame verbindliche Linie noch nicht gefunden ist.

Für den Dilettantismus der Planung gibt es auch Gründe, die nicht von den Planern zu vertreten sind. Die Parteizentrale der Grünen ist personell und finanziell schlecht ausgestattet, sowohl im Vergleich zu anderen Bundestagsparteien wie auch zur eigenen Fraktion. Es ist daher nicht erstaunlich, daß die Parteiführung ein Dasein im Schatten des Parlaments fristet. Vor Wahlen gewinnt sie plötzlich an Bedeutung, und ihr werden Aufgaben zugemutet, mit denen sie überfordert sein muß. Solange die grüne Basis glaubt, radikale Haltung an Beschlüssen wie einem Inlandsflugverbot für Vorstandsmitglieder nachweisen zu müssen, solange braucht sie sich über mangelnde Professionalität der Zentrale nicht zu wundern.

Fehler hat aber nicht nur der Bundesvorstand gemacht. Warum hat sich Fraktionssprecher Joschka Fischer eigentlich erst so spät zu Wort gemeldet? Es kann ihm doch nicht entgangen sein, daß der außenpolitische Teil des Wahlprogramms federführend von Verfechtern einer anderen Strömung als der seinen verfaßt wurde. Hätte nicht ein Politiker, dem Ambitionen auf das Amt des Außenministers nachgesagt werden, an diesem Entwurf mitarbeiten müssen? Aber Parteiarbeit ist natürlich nicht jedermanns Sache. Sie ist zäh, mühsam, oft langweilig. Lorbeeren lassen sich damit kaum ernten. Bettina Gaus