Töten, gedeckt von den Mächtigen

■ Im Krieg massakrierten bosnische Soldaten Serben aus Sarajevo. Protokolle beweisen: Die Führung von Staat und Armee war informiert

Sarajevo (taz) – Die Gefangenen wurden an den Rand der Klippe von Kazani geschleppt. Sie wurden mit Messern oder Bajonetten ermordet und in das auf dem Berg Trebević gelegene Felsloch geworfen. Die Namen einer großen Zahl von Opfern wurden bei den seit 1994 stattfindenden Prozessen in Sarajevo bekannt, jedoch nur einige Dutzend der Getöteten sind bisher identifiziert.

Hauptverantwortlicher für diese Morde an vornehmlich in Sarajevo lebenden serbischen Zivilisten war Musan Topalović, genannt Caco, ein Kommandeur der bosnischen Truppen in Sarajevo. Caco, der schon vor dem Krieg als Krimineller stadtbekannt war, wurde im Mai 1992 zu einem der Unterkommandeure der bosnischen Truppen bestimmt, weil er seit Beginn des Krieges an der Verteidigung der Stadt beteiligt war. Am 26. Oktober 1993 wurde Caco von einem Spezialkommando der bosnischen Armee erschossen, seine Einheiten aufgelöst. 1994 wurden an den Morden beteiligte Soldaten vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen zwischen 10 Monaten und 5 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Die Mitwisser in Armeeführung und bosnischer Regierung wurden bisher nicht belangt. Die Protokolle der Vernehmungen wurden nun erstmals von der bosnischen Monatszeitschrift Dani veröffentlicht.

Mitte Oktober 1993 waren zum Beispiel Vasilj Lavriv und seine Frau Ana in ihrem Haus in der Pionierstraße in Sarajevo verhaftet und auf Befehl von Caco durch seine Männer (Zijo Kubat, Esad Tučaković, Omer Tendzo, Asif Alibašić) zum 10. Hauptquartier der bosnischen Armee im Bezirk Bistrik gebracht worden. Die vier schlugen das Ehepaar und fuhren danach zum Felsen Kazani. Zwei der Soldaten brachten noch eine weitere Person, Milena Drašković, an diesen Ort.

Die Gefangenen wurden mit Stöcken geschlagen, mit Messern schnitt man ihnen die Kehlen durch. Ähnlich gingen die Morde an den Gefangenen Predrad Salipur, Branislav Radosavljević, Radoslav und Marina Komljenać, Zoran Vućurević vor sich. Samir Seferović, einer der Angeklagten, berichtete vor Gericht, wie die beiden serbischen Soldaten Ergin Nikolić und Duško Jovanović aus Sarajevo, die in der bosnischen Armee gedient hatten, gefoltert wurden. Sie waren von Caco wegen des Vorwurfs, zur anderen Seite überwechseln zu wollen, verhaftet worden. Die anwesenden bosnischen Soldaten seien von ihrem Kommandeur Caco gezwungen worden, auf die Gefangenen einzustechen und sie zu töten. Hätten sie sich geweigert, wären sie selbst ermordet worden, erklärte der Zeuge.

Durch diese Morde wurden die in der Stadt lebenden Serben verunsichert. Zu jener Zeit waren viele Serben noch dazu bereit, Sarajevo gegen die Angriffe der serbischen Mladić-Truppen zu verteidigen. Unterführer der bosnischen Armee wie Caco und auch Celo – er kam mit einer Gefängnisstrafe davon – zwangen zudem Passanten dazu, in Lastwagen einzusteigen, um sie an die Frontlinien zu transportieren. Dort sollten diese Leute Gräben für die Truppen ausheben. Bei diesen Aktionen soll eine bisher nicht bekannte Anzahl von Zivilisten umgekommen sein.

Am 26. Oktober 1993 schließlich wurde diesem Treiben durch die bosnischen Truppen selbst ein Ende gesetzt. Alle Einzelheiten der Verbrechen von Caco und Celo sind bislang jedoch nicht aufgedeckt worden. Immerhin wurden die Morde 1994 von den zuständigen Gerichten untersucht und die beteiligten Soldaten verurteilt. In ihrem Editiorial erklärt die Redaktion von Dani, höchste militärische und politische Kreise hätten von den Vorgängen Kenntnis besessen, die Wahrheit sei aber bewußt zurückgehalten worden. Mit ihrer Veröffentlichung will die Redaktion ihren Beitrag zu einer offenen Diskussion leisten, die nicht nur die Kriegsverbrechen der „anderen Seite“, sondern auch die der „eigenen Seite“ aufs Korn nimmt. Wünschenswert wäre, so ein Redaktionsmitglied, daß bald auch in den serbisch und kroatisch kontrollierten Teilen Bosnien-Herzegowinas diesem Beispiel nachgeeifert wird. Erich Rathfelder