■ Den Grünen wird das Schicksal der FDP erspart bleiben. Denn wer auf dem Bauch liegend in eine Koalition kriecht, kann nicht umfallen
: Von Köchen und Kellnern

Gerhard Schröder und Henning Voscherau sorgten diesen Sommer für einige Unruhe mit ihren ausländerpolitischen Äußerungen („...raus, aber schnell“). Manche mögen diese rechten Stammtischparolen der Sozialdemokraten entsetzt haben. Doch für jeden Einwanderer, der einmal an einer SPD-Ortsmitgliederversammlung teilgenommen hat, sind diese Parolen nichts Überraschendes.

Bemerkenswerter war die Reaktion der Führungskaste von Bündnis 90/Die Grünen. Erinnert sich noch jemand an eine Reaktion? Nein? Kein Wunder. Es gab ja kaum eine. Schwach für eine Partei, die sich bislang – verbal – stark machte für die Rechte von Einwanderern und dabei keinen Streit mit der CDU/CSU scheute. Und nun dieses Schweigen. Es stellt sich die Frage nach dem Warum. Die Antwort ist banal. Die Stammtischattacke kam leider von der falschen Seite.

Werden Einwanderer Zielscheibe rechter Populisten, so ist es für jeden aufrechten Grünen eine Pflicht, sich zu entrüsten, betroffen, nachdenklich und, wenn es sein muß, auch wütend zu sein. In ein Dilemma kommt das grüne Gewissen, wenn der Angreifer der Wunschkoalitionspartner von morgen ist. Mit diesen wollen es sich weder Herr Trittin noch Herr Fischer verscherzen. Denn es geht ja nicht nur um die rot-grüne Machtoption 98, sondern – vor allem? – auch um die letzte Chance einer alternden Generation, in Bonn/Berlin Minister spielen zu dürfen. Deshalb muß die Zeit bis zu den Bundestagswahlen irgendwie überbrückt werden, ohne grobe Fehler zu machen, und zu hoffen, daß es am Ende für eine Mehrheit gegen Kohl reicht. Und dann?

Man muß kein Hellseher sein, um zu wissen, was dann passieren würde. Die eine oder andere Reform, die im Prinzip bereits jetzt eine Mehrheit im Parlament hat, wie das Staatsangehörigkeitsrecht, würde endlich realisiert. Es wird in den Ministerien das eine oder andere Schwulen-, Lesben- und Ausländerreferat (habe ich eine Minderheit vergessen?) mehr geben. Der eine oder andere grüne Spitzenpolitiker könnte mit einem Ministeramt seinen Lebenslauf krönen. Und wer sein Leben als persönlicher Referent in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fristet, wäre plötzlich Ministerialdirigent oder gar Staatssekretär.

Aber rot-grünes Reformprojekt? Ein anderes Deutschland, mehr Demokratie? Wohl kaum. Wir brauchen nur nach NRW, Hessen oder Schleswig-Holstein blicken, um zu sehen, daß Rot- Grün nichts weiter als die Fortführung sozialdemokratischer Politik mit anderen Mitteln ist. Das endgültige Déjà-vu-Erlebnis bescherte allerdings Krista Sager etlichen Liberalen unlängst in Hamburg: Man habe ja nur 14 Prozent der Stimmen, da könne man keine Politik machen, als habe man 50 Prozent. Was für ein Trost für meine Parteifreunde Westerwelle, Gerhardt und Solms, schließlich haben wir Liberalen nur 6,6 Prozent der Stimmen bei den letzten Bundestagswahlen erhalten.

So verwundert es nicht, daß bei der Diskussion um das grüne Wahlprogramm (raus aus der Nato, Benzinpreis 4 Mark etc.) die Aufregung in erster Linie nicht wegen der mangelnden Realisierbarkeit dieser Forderungen entstand, sondern weil sie nach Meinung Fischers die Wahlchancen minderten. Es müsse alles vermieden werden, was bürgerliche Wählerschichten verschrecken könnte. Das Motto lautet: Es ist doch egal, was grüne Programmatik ist, die SPD macht ohnehin nicht mit, also kann man besser gleich auf sie verzichten. Die Grünen haben die Liberalen oft genug als Umfaller bezeichnet, manchmal zu Recht. Dieses Schicksal wird den Grünen, wenn sie so weitermachen, auf jeden Fall erspart bleiben. Wer auf dem Bauch liegend in eine Koalition kriecht, kann nicht umfallen.

Dies alles ist keine Auseinandersetzung Realos versus Fundis: Beide Seiten sind sich in ihrem Machthunger einig. Auch Trittin möchte seine Laufbahn nicht als Sprecher seiner Partei beenden. Die öffentlichen Auseinandersetzungen hier und da sind nicht mehr als Folklore fürs Wahlvolk und die eigene Basis, die man bei Laune halten muß.

Die führende Grünen ordnen alles der Machtoption 98 unter und scheinen keine eigenen Überzeugungen mehr zu kennen. Die grüne Selbstaufgabe ist nicht nur in Sachen Einwanderer spürbar, sondern auch in anderen Bereichen. In monatelanger Arbeit hatte der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Oswald Metzger, ein Papier über grüne Positionen zum Thema Kohlesubventionen erstellt. Eine einzige Bergarbeiterdemo in Bonn reichte, um dieses Papier auf den Kehrichthaufen grüner Historie zu befördern. Nur damit Arbeiterführer Joschka Fischer Seite an Seite mit Lafontaine und Scharping eine flammende Rede an seine Kohlekumpel halten konnte („liebe Kolleginnen und Kollegen“), um seine proletarische, sprich sozialdemokratische Gesinnung zu beweisen. Genossen unter sich.

Da verabschiedet der SPD- Bundesvorstand ein Wirtschaftspapier aus der Feder Gerhard Schröders, das diametral zu grünen Forderungen steht, beispielsweise in punkto Ökosteuer. Und die Grünen halten still, anstatt zu sagen: Freunde, mit uns nicht, für die Realisierung dieses Papiers müßt ihr euch andere Mehrheiten suchen. Und als die SPD zusammen mit der Union im Bundesrat ein Kindervisum à la Kanther passieren ließ, brachen in den zahlreichen rot-grünen Koalitionen in den Ländern auch keine Krisen aus. Ausländer sind halt nicht so bedeutsam für die grüne Befindlichkeit wie Garzweiler oder Brunsbüttel.

Und dann gibt es noch einen neuen Typus Grünen-Politiker. Er ist vornehmlich beheimatet in rot- grünen Landesregierungen und in der Bundestagsfraktion und kultiviert den eigenen Opportunismus als neuen Sinn für Realität. Selbsttäuschung und Wählerbetrug liegen bei ihnen ganz eng beieinander.

Die Vorgabe Gerhard Schröders, in einer rot-grünen Koalition müßten die Rollen klar verteilt sein – mit der SPD als Koch und den Grünen als Kellner –, scheint von Fischer & Co. bereits verinnerlicht worden zu sein. Um in der Bildersprache zu bleiben: Es sei jedem empfohlen, Restaurants mit diesen Köchen und diesen Kellnern zu meiden. Das, was sie zusammenrühren und servieren, kann unangenehme Krämpfe oder zumindest heftige Desillusionierungen verursachen. Und die präsentierte Rechnung würde auch gesalzen ausfallen. Mehmet Gürcan Daimagüler