Die Sprache als globales Schlachtfeld

Heute treffen in Vietnam 49 Staaten zum Frankophonie-Gipfel zusammen. Frankreich will die Sprache retten, weltweit gegen die Dominanz des Englischen vorgehen – und macht nebenbei noch gute Geschäfte  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Wenn eine Weltmacht kein Weltreich mehr hat, kann notfalls auch ein „linguistischer Raum“ weiterhelfen. Im Falle Frankreichs heißt der „Frankophonie“, entstand nach der Dekolonisierung der sechziger Jahre und umfaßt gegenwärtig 49 Staaten sowie ein paar Regionen auf allen vier Kontinenten.

Von heute an treffen deren Chefs für drei Tage in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi zusammen. Auf dem Programm des 7. Frankophonie-Gipfels, zu dem 2.000 Teilnehmer erwartet werden, steht neben der üblichen Pflege der französischen Sprache und der Absichtserklärungen für eine intensivierte Zusammenarbeit erstmals auch die Wahl eines Generalsekretärs. Kandidat für das neue Amt ist der Ägypter Butros Butros Ghali. Nachdem ihn Paris wegen des US-amerikanischen Vetos nicht an der Spitze der UNO halten konnte, soll er sich fortan intensiv um die Sache der Frankophonie kümmern.

Ausrichterland Vietnam ist ein gutes Beispiel für den Niedergang des Französischen. In der einstmaligen französischen Kolonie, wo selbst die Elite der bewaffneten Befreiungskämpfer an französischen Universitäten studiert hatte, spielt heute die US-amerikanische Kultur die Hauptrolle. Dazu gehören zum Leidwesen Frankreichs nicht nur die Sprache, sondern auch die Wirtschaftsbeziehungen inklusive der inoffiziellen Zweitwährung.

Präsident Jacques Chirac reiste bereits vor zwei Tagen mit mehreren handfesten Argumenten für die Frankophonie in Vietnam an. Unter anderem unterzeichnete er seither zwei Verträge für Ho-Chi- Minh-Stadt (Saigon): einen über die telefonische Erschließung durch die „France Télécom“ (450.000 Leitungen) und einen über die Wasserversorgung. Weitere Geschäfte sind in Vorbereitung.

Neben Vietnam ist die einstige britische Kolonie Nigeria ein überraschend fremdsprachiger Gipfelteilnehmer. Frankreich hatte Nigeria, nachdem es wegen der Hinrichtungen von Oppositionellen und der systematischen Repression der Ogoni im Commonwealth ins Abseits gedrängt worden war, die Aufnahme in die Frankophonie angeboten. Im Gegenzug versprach das Land die Einführung von Französisch als zweiter Amtssprache.

Im Vorfeld des Gipfels hat Paris 1.500 Vietnamesen zu Kurzpraktika nach Frankreich eingeladen, für die Instandsetzung des Hanoier Opernhauses gesorgt und 125 Limousinen leihweise nach Vietnam geschickt. Auf die Lage der Menschenrechte – unter anderem wiesen unabhängige Organisationen in Paris auf die politischen Gefangenen und die Medienzensur in Vietnam hin – ging Frankreich nicht ein. Die „Mediatisierung“ von Menschenrechtsverletzungen, erklärte Präsident Chirac gestern in Hanoi, sei kontraproduktiv.

Statt der leidigen Menschenrechte steht die französische Sprache im Zentrum des Gipfels, der doch nicht ganz ohne Dolmetscher auskommen wird. Gegenwärtig sprechen weltweit rund 150 Millionen Menschen täglich französisch. Den Sprachpflegern ist das zuwenig.

Sie wollen weltweit den Unterricht verbessern, Französisch wieder zu einer der wichtigsten Sprachen in den internationalen Organisationen machen und den verpaßten Anschluß an die längst angelsächsisch gewordenen Kommunikationstechnologien – allen voran das Internet – aufholen.

Die „Frankophonie“ hat auch im Mutterland jüngst Rückschläge erlitten. Der vorletzte davon war die Abschaffung des Staatssekretariats für Frankophonie bei Amtsantritt der rot-rosa-grünen Regierung im Juni. Seither ist das Ressort Kooperationsminister Charles Josselin untergeordnet, der sich vor seiner Abreise nach Hanoi über das „große Desinteresse“ und den „Mangel an Leidenschaft“ für die Sprachpflege beklagte.

Der letzte Rückschlag war eine Erklärung von Erziehungsminister Claude Allegre, der sich erdreistet hatte, zu sagen, das Englische sei heutzutage „keine fremde Sprache mehr“. Die in der „Vereinigung zur Rettung und Ausbreitung des Französischen“ zusammengeschlossenen Sprachschützer werden diese „schockierende“ Erklärung heute bei einer Demonstration in Paris brandmarken.

Ein verläßlicher Verteidiger der Frankophonie ist Präsident Chirac geblieben. Sein Hofschriftsteller Dennis Tillinac, der ihm trotz aller Niederlagen treu geblieben ist, erklärte vor drei Tagen in der konservativen Tageszeitung Figaro, warum das so wichtig ist: „Die großen linguistischen Räume des 21. Jahrhunderts müssen wie gepanzerte Divisionen sein.“