Ein Protokoll für die Welt

Gestern morgen um acht Uhr war das Klimaschutzprotokoll endlich unter Dach und Fach. Verhandlungsleiter Estrada peitschte den Text durch das Konferenzplenum, strittige Fragen wurden verschoben  ■ Aus Kioto Matthias Urbach

Die Welt hat ein Klimaschutzprotokoll. Gestern um 10.13 Uhr schwang UN-Unterhändler Raul Estrada zum letzten Mal sein Holzhämmerchen. „Wir übernehmen das Protokoll in Einstimmigkeit.“ Ein US-Umweltschützer auf der Tribüne wollte es kaum glauben: „Fünfzehn Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet.“

Seit ein Uhr nachts hatten die Delegierten über dem Kompromißpapier gebrütet, um das die EU, die USA und Japan zusammen mit Estrada in drei Tagen und Nächten gefeilscht hatten. Es sieht für 38 Industrieländer im Schnitt eine Reduktion des Ausstoßes klimaschädlicher Gase um 5,2 Prozent bis 2010 vor. Die EU muß um acht Prozent drosseln, die USA um sieben Prozent und Japan um sechs.

Im ursprünglichen Kompromiß war noch ein Durchschnittswert von sechs Prozent angepeilt worden, doch im letzten Moment konnten Rußland, die Ukraine (je null Prozent) und die Kohleexportnation Australien (plus acht) noch satte Zuschläge aushandeln, die das Gesamtergebnis drückten.

Die Müdigkeit sorgte gestern für die nötige Kompromißbereitschaft. Estrada klopfte mit seinem Holzhämmerchen einen der 28 Artikel nach dem nächsten durch und bügelte einzelne Einwände ab. Gegen sieben Uhr früh verließen auch noch die Dolmetscher nach reichlich Überstunden den Verhandlungsraum. „Weiß hier irgendeiner, worüber ich gerade rede?“ scherzte der dennoch gut aufgelegte Argentinier Estrada.

Zwischenzeitlich sah es schon so aus, als könnte der Kompromißentwurf von EU, Japan und USA vom Mittwoch am Einwand der Entwicklungsländer scheitern. Zunächst verweigerten China, Indien, und Nigeria die Zustimmung zu dem Artikel über den Handel mit nicht ausgenutzten Verschmutzungsquoten. Nur knapp konnte dieser Paragraph durch einen völlig unkonkreten Kompromißentwurf gerettet werden. Die Details des für die USA unverzichtbaren Konzepts wurden auf den nächsten Klimagipfel kommenden November in Buenos Aires vertagt.

Etwas später dann kippten China, Indien und Brasilien den Artikel 10 aus dem Protokoll, der die Möglichkeit vorsah, daß Entwicklungsländer sich freiwillig Limits für ihre Emissionen auferlegen. US-Präsident Bill Clinton hatte damit die Forderung des Senats nach einer „bedeutungsvollen Beteiligung“ der Entwicklungsländer befriedigen wollen. Trotzdem blieb die US-Delegation bei der Stange. „Die haben sich mehr bewegt“, sagt die US-Klimaaktivistin Jennifer Morgan, „als wir und auch sie selbst wohl gedacht haben.“

Mit geränderten Augen, aber zufrieden kam gestern Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) aus dem Plenum: „Der Weg ist das Ziel“ – und dies sei ein Meilenstein gewesen. Sie kündigte aber auch an, daß sie sich gegen eine deutsche Ratifizierung des Klimaprotokolls aussprechen werde, wenn nach dem Klimagipfel in Buenos Aires Industrieländer mehr als die Hälfte ihrer Reduktionspflichten als Verschmutzungslizenzen einkaufen dürften.

Außerdem erlaubt das Protokoll die Anrechnung von Senken, etwa Wäldern, die das Kohlendioxid als Biomasse speichern – aus Sicht der Umweltschützer ein „großes Schlupfloch“. Auch hier wurden wichtige Details vertagt. „Nur einen kleinen Schritt hin zu wirksamem Klimaschutz“, nannte Jürgen Maier vom Forum Umwelt & Entwicklung das Protokoll. Greenpeace sprach gar von einer „Farce“, weil das Reduktionsziel von 5,2 Prozent unter dem Strich nicht ausreiche. Zwar ist das Ausmaß der Schlupflöcher wegen der offenen Detailfragen noch unbestimmt, doch unterm Strich werde aus der Reduktion durch das Kleingedruckte vielleicht nur eine Stabilisierung – wie schon gehabt.