"Eine Brücke für Rechtsextreme"

■ Wolfgang Gessenharter (Bundeswehr-Uni) fordert Studie über geistigen Zustand der Armee

taz: Volker Rühe hat nach den jüngsten rechtsextremistischen Vorfällen einen „großen Schaden“ für die Bundeswehr eingeräumt. Gleichzeitig bleibt er bei seiner Meinung: Es gibt keine generelle rechtsradikale Gesinnung in der Armee. Hat Rühe recht?

Wolfgang Gessenharter: Natürlich ist Rechtsextremismus ein Problem der ganzen Gesellschaft. Wir sprechen mittlerweile von einer normalen Krankheit der Industrienationen, die man bis zu einem gewissen Grad ertragen muß. Das darf aber für die Bundeswehr nicht gelten. Die Armee ist nicht einfach nur ein Spiegel unserer Gesellschaft. Die Soldaten und Offiziere der Bundeswehr haben einen Eid auf die Verfassung geschworen – nicht die Bürger. Die Bundeswehr ist Träger des Gewaltmonopols des Staates. Ist Rechtsextremismus in der Bundeswehr nur eine Sammlung von Einzelfällen, oder hat die Bundeswehr ein strukturelles Problem? Ist sie für Rechtsextremismus besonders anfällig?

Über den geistig-moralischen Zustand der Armee wissen wir einfach zu wenig. Es gibt viele Mutmaßungen, aber wenig gesicherte Erkenntnisse. Deswegen fordere ich eine Studie, die an diesem Punkt Aufklärung schafft. Wenn man will, kann man also auch bei 3.000 Fällen von 3.000 Einzelfällen sprechen. Aber selbst unter sogenannten Einzelfällen gibt es solche, die besonders brisant sind, wie etwa in den achtziger Jahren die zahlreichen Auftritte von General Heinz Karst. Er war der „Bildungspapst“ der Bundeswehr und ist vom vormaligen Verteidigungsminister Helmut Schmidt aus dem Amt gedrängt worden. Karst ist einer der führenden Köpfe einer Neuen Rechten. Diese Auftritte sind symptomatisch, weil sie einen Resonanzboden in der Bundeswehr für neurechtes Gedankengut zeigen. Das wiederum bildet eine Brücke ins Rechtsextreme.

Volker Rühe weigert sich immer noch, eine umfassende Studie über die politische Einstellung in der Bundeswehr in Auftrag zu geben. Hat der Verteidigungsminister etwas zu befürchten?

Weiß ich nicht. Er selbst scheint etwas zu befürchten, wenn er sagt, er lasse nicht zu, daß sich irgendwelche Sozialwissenschaftler über die Bundeswehr hermachen. Die Bevölkerung hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, was die Soldaten und Offiziere denken.

Was könnte eine solche Studie leisten?

Untersucht werden müßte die Gesamtheit der politisch-ideologischen Einstellungen von Wehrpflichtigen und Offizieren – mit einer besonderen Aufmerksamkeit nach rechts außen. Man wird vermutlich bestätigt bekommen, daß nationalkonservative Denkmuster unter Offizieren überproportional vertreten sind. Das mag Ihnen und mir nicht passen – aber diese Tatsache an sich ist ja weder eine Schande noch ein Skandal. Die Öffentlichkeit muß es nur wissen.

Aber es könnte auch herauskommen, daß Rechtsextremismus viel weiter in der Armee verbreitet ist als bisher angenommen.

Das ist nicht auszuschließen.

Wer sollte eine solche Studie machen?

Sozialwissenschaftler von außerhalb und innerhalb der Bundeswehr. Eine solche Untersuchung müßte als größeres Projekt gestartet werden; man kann nicht in vier Wochen nachholen, was man über Jahre hinweg versäumt hat.

Ist die Idee des „Staatsbürgers in Uniform“ gescheitert, wenn man nicht mal mehr der Elite der Bundeswehr trauen kann?

Nein. Sie ist in vielen Bereichen der Bundeswehr gelebte Realität. Aber aus den achtziger Jahre wissen wir, daß es größere Gruppen gab, auch in führenden Positionen, die die Integration der Armee in die Gesellschaft offen abgelehnt haben. Untersuchungen aus den neunziger Jahren gibt es dazu nicht. Um so dringlicher ist die geforderte Studie. Interview: Jens König