■ Er macht kaputt, was uns kaputtmacht:
: Der Weihnachtsmannkiller

Ich bin ein friedlicher und lebensbejahender Mensch, allem Guten und Schönen auf diesem Planeten zugetan, aber ich hasse in Stanniol gewickelte Weihnachtsmänner aus Milchschokolade. Ich hasse es, ab Ende September bei jedem Einkauf an einer Phalanx dieser rutenbewehrten Zombies vorbeischleichen zu müssen. Aber glücklicherwerise bin ich nicht wehrlos. Mein Haß ist längst in Widerstand umgeschlagen. Dabei ist mir eine gute alte Anarchodevise zu Hilfe gekommen: Macht kaputt, was euch kaputtmacht!

Ich habe keineswegs die Absicht, durch mein Bekenntnis eine vandalistische Massenbewegung auszulösen, doch gestehe ich nicht ohne Stolz: Ich bin der Weihnachtsmannkiller. Ich bin der von den Direktionen aller Supermarktketten gefürchtete, von Polizei und Verfassungsschutz fieberhaft gesuchte Terrorist aus dem radikal antiweihnachtlichen Untergrund.

Getarnt als biederer Konsumbürger pirsche ich durch die Kaufhallen und liquidiere Weihnachtsmänner. Meine Anschläge pflege ich mittels Daumen und Zeigefinger der rechten Hand auszuführen. Mit einem blitzschnellen, energischen Griff zwischen Rauschebart und Zipfelmütze drücke ich die Visagen in die milchschokoladenen Hohlkörper hinein. Das geschieht mit solcher Effizienz, daß die deformierten Figuren keinem Kunden auch nur einen müden Groschen mehr wert sind. In jahrelanger Praxis habe ich soviel Routine entwickelt, daß ich binnen einer halben Minute mühelos ein gutes Dutzend Weihnachtskerle in Schokoladenschrott verwandeln kann.

Natürlich ist Umsicht vonnöten, das Ausspähen günstiger Gelegenheiten und ein kurzentschlossener Zugriff. Mitunter empfiehlt sich ein rascher, jedoch unauffälliger Rückzug auf die Straße. Oft bin ich zu verstohlenem Ablecken meiner Finger genötigt, um Tatspuren zu beseitigen. Für den ekelhaft süßlichen Geschmack aber entschädigt mich immer wieder das kribbelnde Lustgefühl beim Tatvorgang, dieses durch das Stanniol gedämpfte heimliche Knacken zwischen meinen Fingern, die sinnliche Erfahrung individuellen Widerstands gegen den Konsumterror.

Als Arbeitsloser habe ich viel Zeit für meine Streifzüge. Im Durchschnitt schaffe ich 75 Weihnachtsmänner pro Tag. Angenommen, ich stehe von Anfang Oktober bis zum Heiligen Abend an nur 60 Tagen im Einsatz, ergibt sich hochgerechnet pro Saison eine stolze Jagdstrecke von 4.500 Stück. In vier Jahren Arbeitslosigkeit dürfte ich folglich rund 18.000 Weihnachtsmänner aus dem Verkehr gezogen haben. Ich habe meinem Leben einen neuen Sinn gegeben.

Alljährlich am 24. Dezember ist die Kampagne leider vorbei. Ich bin deshalb nicht traurig. In der Arbeitslosigkeit habe ich lernen müssen, meinen Depressionen durch kreative Phantasie zu widerstehen: Ich hasse auch in Stanniol gewickelte Glücksschweine, Osterhasen und Maikäfer aus Milchschokolade. So habe ich mit Daumen und Zeigefinger eigentlich das ganze Jahr hindurch eine Menge zu tun, abgesehen mal von der sommerlichen Urlaubszeit. Aber jeder Sommer endet mit der Wiederkehr der Weihnachtsmänner. Heinz Jürgen Furian