Pinochet kann aufatmen

■ Spaniens Staatsanwälte wollen Prozeß gegen südamerikanische Militärs kippen

Madrid (taz) – Die blutigen Militärdiktaturen in Chile und Argentinien waren nichts weiter als „eine vorübergehende Suspendendierung der verfassungsmäßigen Ordnung (..), um die Unzulänglichkeiten dieser Ordnung zu beheben und den Friede zu wahren“. Zu diesem überraschenden Ergebnis ist der Chef der Staatsanwaltschaft am spanischen spanischen Sondergericht für Terrorismus und Finanzvergehen, Eduardo Fungairiño, gelangt.

Und deshalb, so die Schlußfolgerung des Chefanklägers, könnten die lateinamerikanischen Putschgeneräle und ihre Lakaien trotz „der systematischen Vernichtung ganze Teile der Bevölkerung“ durch Mord, Folter und Verschwindenlassen weder wegen Völkermords noch wegen Terrorismus belangt werden.

Sechs Staatsanwälte des Sondergerichts schlossen sich am Mittwoch nachmittag ihrem Chef an und stimmten für die Einstellung der dort laufenden Verfahren gegen argentinische und chilenische Militärs. Vier waren für eine Weiterführung der Ermittlungen, drei enthielten sich. Jetzt ist das Wort von Generalstaatsanwalt Jesús Cardenal gefragt, um die Frage der Zuständigkeit des Madrider Gerichts zu prüfen. Das Stimmverhalten seiner Crew am Sondergericht ist für ihn dabei nicht bindend.

Der Streit um die beiden Fälle reißt nicht ab, seit vor über einem Jahr zwei Ermittlungsrichter eine von der Vereinigung Fortschrittlicher Staatsanwälte (UPF) unterstützte Klage der Angehörigen der Repressionsopfer in den beiden lateinamerikanischen Länder zuließen. Untersuchungsrichter Baltasar Garzón beschäftigt sich seither mit den 600 in Argentinien verschwundenen Menschen spanischer Nationalität. Insgesamt hat das Militär 30.000 Menschen auf dem Gewissen. Sein Kollege Manuel Garcia Castellón sucht die direkten Verantwortlichen für die Folter in Chile. Besonderes Augenmerk richtet er dabei auf acht spanische Opfer und Hunderte von Nachfahren spanischer Auswanderer. Dabei ist selbst Exdiktator Augusto Pinochet Objekt richterlicher Begierde. Im vor zwei Jahren eingeführten neuen spanischen Strafgesetz können Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausdrücklich nicht verjähren und dürfen weltweit geahndet werden.

Während selbst die UNO diese Regelung als zulässig anerkennt, sprach Fungairiño Garzón und Castellón wiederholt öffentlich das Recht ab, über ausländische Militärs zu urteilen, zuletzt in einem Interview mit der chilenischen Tageszeitung El Mercurio. Vor der Sitzung am Mittwoch hatte sich Fungairiño mit dem chilenischen Botschafter in Spanien getroffen. Reiner Wandler