Rühe rutscht weiter in den braunen Sumpf

■ Neues im Fall Roeder: Kontakte mit der Bundeswehr schon 1993. Sein Verein galt zeitweise als gemeinnützig. Mehrere Behauptungen von Minister Rühe widerlegt

Bonn (taz) – Die Debatte im Bundestag über die Roeder-Affäre war noch nicht zu Ende, da erhielt das Verteidigungsministerium schon wieder neue Akten über den Fall. Und erneut hatte es journalistischer Recherche bedurft, damit Verteidigungsminister Volker Rühe von den Vorgängen erfuhr. Diesmal hatte das Fernsehmagazin „Panorama“ herausgefunden, daß der Rechtsextremist Manfred Roeder für seine Organisation „Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk“ bereits am 21.12.1993 mit einem eigenhändig unterschriebenen Brief um Bundeswehrmaterial gebeten hatte. Unter der Signatur befindet sich sein Nachname in Druckbuchstaben. Bisher war öffentlich lediglich ein Schreiben aus dem Jahre 1994 bekannt, das als Fax-Kennung den Namen Roeder verzeichnete und von dem Vorsitzenden des Vereins, Konrad Schneider, unterzeichnet worden war.

„Die erst jetzt bekanntgewordenen Vorgänge zeigen auf, daß Roeder bereits im Dezember 1993 Kontakt mit dem Materialamt Heer hatte“, räumte die Hardthöhe gestern in einem Bericht an den Verteidigungsausschuß ein. Noch am Nachmittag berieten daraufhin die Obleute die neue Situation. Heute soll eine Sondersitzung des Ausschusses stattfinden.

Widerlegt ist mit dem neuen Schreiben Rühes Erklärung, der zufolge Roeders Name bei den Anträgen nur als Fax-Kennung, nicht aber mit eigener Unterschrift aufgetaucht ist. Ebenfalls unhaltbar ist die Aussage geworden, daß der als Terrorist verurteilte ehemalige Rechtsanwalt erst seit Mai 1994 Kontakte zur Bundeswehr unterhielt. Manfred Roeder bezieht sich in seiner ersten Anfrage darüber hinaus auf eine „Rücksprache“ mit einem Oberstleutnant und einem Hauptmann, die ihn an das Materialamt des Heeres verwiesen hätten.

Zur Unterstützung seines Antrags legte Roeder außerdem vereinsinternes Informationsmaterial bei. Darin wird aus der politischen Stoßrichtung seiner Organisation kein Hehl gemacht. „Wenn das Land [Nord-Ostpreußen, Anmerkung d. Red.] auch in absehbarer Zeit nicht wieder unter deutsche Verwaltung kommt, so kann doch eine vernünftige Übergangsregelung gefunden werden durch eine für beide Völker fruchtbare Zusammenarbeit.“

Über die Region, in der eines der Projekte des Vereins geplant war, heißt es in dem Material: „Der Krieg wütete drei Monate lang in dieser Gegend. Blut floß in Strömen. Den russischen Gefallenen wurde ein pompöses Denkmal gewidmet. An die deutschen Soldaten erinnert nichts.“ Weiter ist zu lesen: „Wir konnten eine ortsansässige Baufirma gewinnen, vier richtige deutsche Bauernhäuser zu entwerfen und die Bauleitung zu übernehmen. Natürlich hat sich überall herumgesprochen, daß dort ein neues deutsches Dorf entstehen soll. Und nun warten alle mit Spannung auf das Ergebnis. Die Russen mit einer Mischung aus Mißtrauen, Neid und Bewunderung.“

Manfred Roeder hatte dem Materialamt des Heeres auch eine „Vorläufige Bescheinigung“ des hessischen Finanzamts Schwalmstadt vorgelegt, in dem seiner Organisation die Gemeinnützigkeit bestätigt wurde. Das bringt in der Affäre eine weitere politische Institution ins Zwielicht. Finanzministerin war damals in Hessen Annette Fugmann-Heesing. Heute ist die Sozialdemokratin Finanzsenatorin in Berlin. Roeders „Gemeinschaftswerk“ wurde in einem mit Schreibmaschine getippten Vermerk vom Finanzamt „die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens“ bescheinigt.

Der Rechtsextremist Roeder lebt in Hessen, dort ist auch seine Organisation zugelassen – er hätte eigentlich also dort besonders gut bekannt sein müssen. Dennoch bedurfte es offenbar auch dort journalistischer Recherche, um die Alarmglocken in Gang zu setzen. Informationen von FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle zufolge wurde die „Vorläufige Bescheinigung“ der Gemeinnützigkeit erst nach einem Fernsehbericht widerrufen. Das Verteidigungsministerium vertritt nun die Auffassung, daß unter anderem die „Vorläufige Bescheinigung“ des Finanzamts den Schluß zulasse, daß das Materialamt Heer „von einem ,Routineantrag‘ ausging und an dem Namen der Organisation wie auch den sie vertretenen Personen keinen Anstoß nahm“.

Bettina Gaus Berichte Seite 6