Die Kunst des Anpumpens

■ Geld leihen als soziales Unternehmen: Wer dabei seine Wünsche durchsetzt, zeichnet Anleihen für die Zukunft. Machen Sie den Test!

Wer jemanden um Geld anpumpt, hat nichts in der Tasche, möchte aber ebenda welches haben. Unterscheiden muß man zwischen dem einfachen Verlegenheitspumpen und dem Konstitutionspumpen. Letzteres ist hier von Interesse. Das profane Ziel des Geldleihens besteht darin, von einer bestimmten Person eine feste Summe bis zu einem bestimmten Termin zu Erwerbszwecken zu bekommen. Die hohe Kunst des Anpumpens ist indes erreicht, wenn man von denselben Menschen wiederholt etwas bekommt. Der Anpumper leiht sich nicht einfach Geld, er tut's mehrfach, immerzu. Machen Sie den Test.

Leihen Sie sich 70 Mark von einem Freund. Er wird es hergeben, erst recht, wenn es zum ersten Mal der Fall ist. Warten Sie dann ab, bis er Sie wieder an das Geld erinnert. In diesem Moment dürfen Sie es aber nicht zurückzahlen.

Verwenden Sie zur Begründung einen plumpen Vorwand: nicht genug dabei, ich brauch's noch für ein Buch etc. Das läßt sich mehrmals wiederholen. Ihr Freund sollte noch erfahren, daß Sie sich von anderen ebenfalls Geld geliehen haben. Dann wird es Zeit, ihn zu überraschen. Ohne Aufforderung sollten Sie dann in Erinnerung bringen, daß Sie ihm noch Geld schulden. Nun, wird er denken, bekommt er sein Geld zurück. Das ist der Höhepunkt des kleinen sozialen Experiments: Leihst du mir noch 30? Dann sind's 100, eine runde Summe.

Die Kunst des Anpumpens verlangt vor allem Rhythmusgefühl. Freund L. beispielsweise hatte im Lauf der Zeit auf die Strategien des Anpumpens ein kompliziertes Handlungsmodell gegründet. Er lieh sich oft etwas, nur um es jemand anderem zurückzahlen zu können. Er war sehr darauf bedacht, die ganze Sache nicht aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen.

Zum erfolgreichen Anpumpen gehören eine gute Buchführung und das Einhalten von Terminen. Freund L. betonte bei seinen redseligen Eröffnungen stets, daß er die angekündigten Rückzahlungstage noch nie überschritten habe, was keineswegs stimmte, aber es empfahl sich, nichts darauf zu entgegnen. Die meisten Anpumper sind Moralisten und halten auf ihre Ehrenhaftigkeit.

Geldleihen ohne Stempel und Quittung ist keineswegs so einseitig, wie es scheint. Wer Geld verleiht, darf nicht glauben, daß man nach der Rückzahlung miteinander quitt ist. Erst Wiederholung und Variation des Vorgangs verleihen dem Anpumpen sein soziales Gewicht. Wer erfolgreich seine Wünsche durchsetzt, kann für die Zukunft Rechte geltend machen. Die Regeln des Vorgangs entstehen nicht durch Abmachung oder Vertrag, sondern durch Gewohnheit.

Natürlich kann auch der Anpumper zum Verleiher werden. Freund L. leitete aus der Tatsache, daß er noch Geld von anderen bekam, Ansprüche auf wenigstens eine kleine Summe ab. Es geht beim Anpumpen nicht um Almosen, sondern um klar formulierte Forderungen. Ich ließ L.s Außenstände übrigens nie über 200 Mark hinauswachsen, eine Grenze, die er ohne Diskussion akzeptierte. Schwierig war es nur an Tagen, an denen er seine Schulden vollständig beglichen hatte. Das Interaktionsverhältnis mußte sehr bedächtig wieder aufgebaut werden. Wird beim Anpumpen der Geldfluß unterbrochen, ist die Freundschaft beendet. Harry Nutt