■ Pro: Warum die NRW-Grünen in der Koalition bleiben sollen
: Aus Erfahrung lernen

Garzweiler gibt es längst nicht mehr, das Dorf mußte den Braunkohlebaggern schon vor Jahren weichen. Doch sein Name schreibt Landesgeschichte. Garzweiler II, der für die Zeit ab 2006 geplante Anschlußtagebau, ist zum Knackpunkt für die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen geworden: Die SPD will ihn, die Grünen lehnen ihn entschieden ab. Der Konflikt begleitet die Koalition von Anbeginn, aber jetzt, da das Bergamt Düren den Rahmenbetriebsplan zugelassen hat, spitzt er sich zu.

Sollen die Grünen angesichts dieser Entscheidung nun aus der Regierung aussteigen und – notfalls mit der CDU – Neuwahlen erzwingen? Wer darüber nicht allein gefühlsmäßig befinden will, muß die Fakten sehen und aus Erfahrungen lernen. Ein Großvorhaben wie Garzweiler II läßt sich nicht wie mit einem Lichtschalter ein- oder ausschalten, sondern es unterliegt einem langjährigen Genehmigungsprozeß mit vielen Einzelentscheidungen. Für die jetzt anstehenden Verfahren ist nicht mehr das Wirtschaftsministerium, sondern als Oberste Wasserbehörde und als Landesplanungsbehörde das „grüne“ Umweltministerium federführend. Erstmals läßt ein Rahmenbetriebsplan wasserrechtliche Fragen ausdrücklich offen und erlaubt die schadenersatzfreie Rückholbarkeit des Vorhabens bei wesentlich veränderten Grundannahmen. Und nur der grüne Einfluß bietet die Chance, endlich eine grundlegende ökologische Prüfung durchzusetzen. Es wäre sträflich, darauf durch Austritt aus der Koalition freiwillig zu verzichten.

Freuen würde sich das Bergbau treibende Unternehmen, das dann sicher sein könnte, daß die ökologischen Bedenken im weiteren Verfahren nicht durchschlagen. Ihm sind Grüne, die von außen an den Zäunen rütteln und protestieren, allemal lieber als solche, die unmittelbaren Einfluß auf die Genehmigungsverfahren haben. Grund zum Jubel hätte aber auch die Opposition, die bei vorgezogenen Neuwahlen eine Chance wittert, die Grünen als Regierungspartner der SPD ablösen zu können. Die Grünen würden zwar vielleicht ihre Wahlprozente vergrößern, ihren politischen Einfluß auf das Projekt aber verringern.

Dabei steht die Partei nicht zum ersten Mal vor einer solchen Entscheidung. Vor elf Jahren war Rot- Grün in Hessen an einem ähnlichen Punkt: Der Wirtschaftsminister ließ keine Chance aus, den grünen Koalitionspartner zu provozieren. Auch damals ging es um ein Genehmigungsverfahren – das für die Hanauer Nuklearbetriebe. Die Grünen stiegen aus und fanden sich nach vorgezogenen Neuwahlen in der Opposition wieder (mit der SPD zusammen), während die neue CDU/FDP-Regierung die ausstehenden Genehmigungen rasch erteilte und ein gesellschaftliches Roll-back veranstaltete. Die Lehre, die die Beteiligten damals zogen: Langfristig denken und eher einmal einen schweren Konflikt in der Koalition durchstehen, als das Ganze aufs Spiel zu setzen. Es geht darum, am Ende zu gewinnen, statt mittendrin aufzugeben.

Die Zauberworte heißen Glaubwürdigkeit und Gestaltungswille. Für die Grünen gehören sie untrennbar zusammen. Mit „Umfallen“ hat ein Verbleib in der Regierung nichts zu tun, denn das hieße, sich von seiner Position in der Sache zu verabschieden, wie es die FDP tat, als sie ihr Nein zu Garzweiler aufgab, um sich der SPD als Koalitionspartner anzudienen. Die Grünen sagen nach wie vor klar nein zu Garzweiler II, und sie müssen, um glaubwürdig zu bleiben, in diesem Sinn weiterhin gestalten. Die Alternative ist die Opposition. Wer sich heute dahin zurücksehnt, der resigniert vor dem Strukturkonservativismus der SPD und scheut die zweifellos schwierige Aufgabe, unser Land sozial und ökologisch zu reformieren. Michael Vesper

Der Autor ist bündnisgrüner Bauminister in NRW