Zum Duschen in den Baumarkt

Wie ein Werbegag allzu wirklich wird: In einem Einkaufszentrum bei Berlin liegen seit vier Wochen sechs Leute in den Ausstellungsbetten, um 10.000 Mark zu gewinnen  ■ Aus Wildau Jens Rübsam

Was um Himmels willen ist eigentlich passiert? Na ja, wie soll sie das sagen? Christiane Fischer will niemanden verärgern – die KandidatInnen sind sowieso schon ein wenig sauer auf die Geschäftsführung, und die Geschäftsführung ist ein wenig genervt von der Ausdauer der KandidatInnen, und die Medien spötteln schon über einen verhauenen Werbegag – na ja, will sich Christiane Fischer, Event-Managerin von Brandenburgs größtem Einkaufszentrum, mal vorsichtig so ausdrücken: „Es hat doch niemand damit gerechnet, daß die so lange liegenbleiben.“ 33 Tage sind es mittlerweile. 33 Tage und 33 Nächte.

Seit dem 12. Januar liegen sechs Leute in drei Doppelbetten. Die Betten stehen mitten in der Passage des A-10-Centers Wildau, einem auf die grüne Wiese gesetzten Konsumtempel südlich von Berlin. 10.000 Mark für die, die am längsten aushalten, hat die Geschäftsführung ausgesetzt und strenge Regeln erdacht: 24 Stunden im Bett bleiben. Morgens eine halbe Stunde Duschen im Baumarkt. Alle drei Stunden zehn Minuten Freigang, zur Toilette, ins Freie oder in einen der Läden. Wer zuerst aufgibt, hat verloren. Wer eine Woche durchhält, bekommt das Schlafzimmer. Das haben längst alle gewonnen. Und wer am längsten durchhält, bekommt 10.000 Mark.

Mittlerweile sind vier Wochen vergangen, und keines der drei Paare hat aufgegeben. „Wie Sie sehen, sind die alle noch fit drauf“, sagt Event-Managerin Christiane Fischer. Das hat ihr auch die Ärztin bestätigt, die die Leute in den Betten untersucht. Die Ärztin freilich hat dazu gesagt, „gesundheitlich könnten die das noch ein paar Monate aushalten“.

Sie werden aushalten, „bis zum bitteren Ende“, bis die 10.000 Mark ihnen gehören. Dafür sitzen Renate Brettschneider (44) und Ingrid Appelt (58) in dieser stallgroßen Box mit dem grün lackierten Schlafzimmer und dem schwarzen Doppelbett mit der Spiegelrose drauf und blicken auf Imbißläden, Boutiquen und eine Drogerie, hören Soft-Songs aus dem Kaufhausradio und ertragen, daß wirklich sehr viele Leute stehenbleiben und sie anstarren, mal bewundernd, mal verächtlich und sich dabei an ihren Einkaufswagen festhalten.

Frau Brettschneider und Frau Appelt haben sich in dem Bett mit der schwarzen Satinwäsche festgesessen, und auch sonst haben sie sich eingerichtet in dem „modernen Schlafzimmer“, Preis: 3.356,90 Mark. Puschen neben dem Bett. Obst auf der Kommode. Die nassen Handtücher vom Duschen in der Schrankwand. Frau Appelt hat eine gewaschene Bluse aufgehängt. Frau Brettschneider gibt die Wäsche nach Hause. Im Center selbst waschen? Das würde dann doch zu weit gehen. Rauchen im Bett? Das geht für Frau Brettschneider noch in Ordnung. Auch wenn Frau Appelt findet, „hier im Center fehlt der Sauerstoff“. Eigentlich das einzige, was fehlt.

Wie sie so dasitzen, die beiden Berlinerinnen Frau Appelt und Frau Brettschneider, gleichen sie Mutter Beimer und Isolde Pavarotti aus der „Lindenstraße“. Wenn sich jemand vorstellen kann, daß Mutter Beimer und Isolde Pavarotti gemeinsam im Bett sitzen. Frau Appelt strickt Sommerpullover. Das hat auch Mutter Beimer schon getan. Frau Brettschneider bestickt und knüpft Kissen. Das hat Isolde Pavarotti noch nie gemacht, obwohl sie ja nie weiß, wie sie die Zeit zwischen den Stunden totschlagen soll. Frau Brettschneider nimmt deswegen am „Dauerschlafen“ teil, „das Aufregendste seit der Geburt meiner Tochter – und die ist 17“.

Das geht morgens um 4 Uhr los, wenn die Kehrmaschine kommt. Nur das Frühstücksfernsehen war schon mal früher. Um halb sieben hetzen die Damen in den 400 Meter entfernten Baumarkt zum Duschen und müssen achtgeben, daß sie keine Minute zu spät zurückkommen. Der Wachmann führt akribisch Buch, ist aber ein netter Mann, meint Frau Brettschneider. Überhaupt sind die meisten Leute hier „wirklich nett“ und sagen: „Haltet durch.“ Nur manchmal kommen blöde Sprüche, „zwei Lesben und so was“.

Frau Appelt ist verheiratet, schon 30 Jahre, hat zwei Söhne und ist jetzt Hausfrau mit vielen Hobbies. Fährt Rad, backt selber ihr Brot und singt im „Erkschen Chor“. Der probt zur Zeit das „Phantom der Oper“. Ohne sie, was ihr „weh tut“, sie sitzt ja preisverdächtig im Bett. Wie Frau Brettschneider, die lange bei der Berliner Polizei gearbeitet hat, jetzt Hausfrau ist, eine Tochter hat und einen Bullterrier, „ein sensibler Kerl“. Hin und wieder braucht sie ein bißchen Action, da kam es ihr ganz gelegen, daß Herr Appelt sich nicht zur Schau stellen lassen wollte und Frau Appelt nicht verzichten wollte „auf den Spaß“. Per Anzeige fanden die beiden zusammen. Das Preisgeld wird geteilt. Das Schlafzimmer wird anteilig ausgezahlt.

Frau Appelt ißt einen Keks und paßt auf, daß keine Krümel ins Bett fallen. Frau Brettschneider zündet sich eine Zigarette an und sagt: „Das hier ist wie Urlaub. Einfach ausspannen. Einfach abschalten vom Alltag.“ Ja, der Alltag. Mal nicht kochen müssen jeden Tag. „Wissen Sie, wenn man 20 Jahre lang jeden Tag kochen muß, auch im Urlaub ...“ Herr Seele kommt vorbei, der nette Mann, der die KandidatInnen versorgt. Es gibt Kuchen, türkische Schnitte. Frau Appelt hätte jetzt lieber ein Wurstbrötchen.

49 Prozent der BesucherInnen des Einkaufszentrums, so ergab eine Umfrage dieser Tage, wetten, daß Frau Brettschneider und Frau Appelt das „Dauerschlafen“ gewinnen. Wenn es doch schon soweit wäre. Christiane Fischer, die Event-Managerin, wechselt die Schuhe. Jetzt passen sie zum grauen Kostüm. Der Fernsehsender Pro Sieben will live ins A-10-Center schalten. Ulla Kock am Brink wird später sagen: „Die Situation ist in der Tat dramatisch.“ Frau Fischer wird sagen: „Das Problem ist, daß unsere Werbemaßnahme aus dem Ruder geraten ist.“ Eigentlich sollte jetzt da, wo Frau Appelt, Frau Brettschneider und die anderen in den Betten sitzen, die Märchenausstellung „Es war einmal" aufgebaut werden.

Dabei hat sich Fischers Werbeagentur die Sache selbst eingebrockt: „10.000 Mark im Schlaf verdienen“ war die Idee. Um den Kunden „eine neue Aktivität zu bieten“ und nicht immer nur Kinderüberraschungen und Kunstausstellungen. Das zieht nicht mehr. Also wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben: „Pärchen schlafen um die Wette“, und in der Passage, wurden drei Schlafzimmer aufgebaut. Mittlerweile hat die Geschäftsführung jenem Paar, das als erstes aus dem Bett steigt, 5.000 Mark geboten.

Denn der Spaß wird langsam teuer, sagt Christiane Fischer: Verpflegung bezahlen, zusätzliches Wachpersonal bezahlen. Allerdings vergißt sie, die eingesparten Gelder für Anzeigen und Werbeminuten zu erwähnen. Inzwischen sitzt jeden Tag irgendein Kameramann auf der Bettkante, und jeden Tag guckt irgendein Journalist unter die Bettdecke. Fischer spricht von der „wohl erfolgreichsten Werbekampagne“ – nur: „Langsam sind halt die Nerven aller strapaziert.“ Die KandidatInnen finden, daß jedem der konkurrierenden Paare die 10.000 Mark ausgezahlt werden sollten. Der Geschäftsführer ließ sich mit den Worten zitieren: „Gerade beginnt der Psychokrieg.“

Torsten Kolatte (24) und Britt Grabe (25) kommen aus Fürstenwalde und sitzen in der mittleren Box mit dem „topmodernen Schlafzimmer, Buche Natur, Nachbildung“ (2.862,90 Mark). In der Bettmitte ein Aschenbecher, der überquillt. Vor dem Bett ein PC, auf dem sich Computerfiguren zerfleischen. Neben dem Bett hängt ein Schild an der Wand: „Hier liegen Torsten Kolatte und Britt Grabe.“

Die Stange „Polen-West“ ist leer, und der Tag ist noch lang. Vor allem der Abend. Anfangs gab es Knatsch zwischen den Jungen und den Alten in den Betten. Da kam aus der Damen-Box der Don-Kosaken-Chor. Nervig. Das fanden auch Nicollé (21) und André (21), das Pärchen im dritten Bett. Frau Brettschneider und Frau Appelt wollten keine laute Musik nach acht Uhr abends. Inzwischen haben die Damen Ohrenstöpsel und die Jungen ihre Freiheiten. Frieden in den Betten.

Torsten steht auf „voll krasse“ Computerspiele, Horror tobt gerade. Leider sind nunmehr alle 17 Computerspiele durchgespielt, zigmal. Er könnte neue gebrauchen. Da ist ihm eine Idee gekommen, und er hat bei Sony angerufen. Ein paar neue Spiele dafür, daß er das Markenzeichen in die Kamera hält. Das hat er von Nicollé und André gelernt. Nur: Er ist bei Sony nicht durchgekommen. Da hatten Nicollé Müller und André Skala mehr Glück mit ihren Sponsoren. Wie es aussieht.

Vor ihrem Bett hängt ein Werbeschild eines Spielwarenhändlers, hinter dem Bett fliegen Drospa- Luftballons, Andre trägt ein T-Shirt mit dem Logo einer A-10-Boutique. André hat blondes Haar und starke Muskeln und will herausfinden, was er aus dieser Aktion alles „herausholen kann“. Gewonnen hat er schon das Schlafzimmer, „Buche Struktur, 3.844,90 Mark“. Kontakte zu Händlern im Center hat er auch schon geknüpft. „Wenn er ein Firmenschild in die Kamera zeigt, kriegt er 250 Mark dafür“, hat Torsten gehört. André will dazu nichts sagen. Torsten findet das jedenfalls „nicht fair.“ Wie er und Britt auch nicht fair finden, daß sich die Medien immer auf André und Nicollé stürzen. Diesmal eben Pro Sieben. Pech nur, daß der Drospa-Luftballon später am Bildschirm nicht so richtig zu erkennen ist.

Torsten und Britt werden von der Kamera nur gestreift. Aber „wenigstens hat das Jahr für uns gut angefangen“, meint Britt. Das vergangene war eine Katastrophe, und es folgt eine Krisenberichterstattung aus Ostdeutschland: Britts Firma ging in Konkurs, ein paar Monate bekam sie kein Geld, jetzt ist sie arbeitslos. Eine Stelle als Verkäuferin in Fürstenwalde ist so schnell nicht zu finden. Torsten hat bei Firmen gejobbt, die nicht zahlen konnten. Jetzt hat er einen neuen Job und einen Chef, der ihm freigegeben hat und meinte: „Gewinn' die 10.000 Mark.“ Das werden sie. 33 Tage haben sie schon ausgehalten.

Aber da ist noch die Sache mit dem Schlafzimmer. Sie haben das billigste abbekommen. „Voll häßlich“, hat Torsten anfangs gedacht. Na ja, nun haben sie es gewonnen und im übrigen schon mal bei der Geschäftsführung nachgefragt, ob sie einen Ausgleich bekommen werden, immerhin ist es 1.000 Mark billiger als das von André und Nicollé. Die Geschäftsführung hat abgewinkt. Wenigstens ein größeres Bett? Auch nicht. Das hört sich nach einer Fortsetzung der Krisenberichterstattung an. „Gewinner kommen in die Sender. Verlierer nicht.“ Das hat André im Bett gelernt.

Er sucht einen Ausbildungsplatz. Er will „Werbekaufmann mit Hang zu Medien“ werden. Nur deswegen lasse er sich als Inventar eines Schlafzimmers abfilmen und nur deswegen zu Sätzen hinreißen wie „Könnt Ihr erwähnen, wo das A-10-Center ist?“ Das mit dem Ausbildungsplatz hat André Skala auch der Ulla Kock am Brink erzählt. Sie hat gelächelt.