Aus der Nasennebenhöhle Von Wiglaf Droste

Der Arzt machte sich ganz klein und verschwand in meiner Nase. „Huuh, wie duster!“ rief er. „Gibt's hier kein Licht?“ Ich reichte ihm eine Taschenlampe hinterher und hörte ihn in meiner Nase herumwandern. Nach einer Minute war er wieder da. Er ging in ein Nebenzimmer, aus dem er in kompletter Tauchermontur zurückkehrte: Anzug, Flossen, Brille mit Scheibenwischer und Sauerstoffgerät. „Auf ins gelbe Meer!“ zwinkert er mir zu, griff sich einen Werkzeugkasten, verkleinerte sich und drang erneut in meine Nase vor.

Drinnen hörte man ihn grupscheln und rumoren. „Wo ist denn der Siebener Schlüssel?“ Seine Hand tauchte aus meinem linken Nasenloch auf und schnipste. „Schwester, Zange!“ Dann ging alles sehr schnell: Es zwackte und knurpselte, es gab einen heftigen Ruck, die Schwester machte runde Augen, sagte „Ooh“ und sank zu Boden.

Der Arzt kletterte aus mir heraus und wusch sein Werkzeug. Während er sich umzog, fragte er: „Wissen Sie eigentlich, wie es in Ihnen so aussieht?“ – „Och“, sagte ich, „nicht direkt.“ Er schlug die Beine übereinander und zündete sich ein Zigarettchen an. „Die Skulputuren von Eugen Egner, die Sie in Ihren Nasengängen ausstellen, sind ja sehr beeindruckend“, sagte er. „Aber der Buckel auf Ihrer Nasenscheidewand gefällt mir gar nicht.“ Er patschte in die Hände. „Zack! Einfach weggekokst!“ Er strahlte vor Begeisterung.

„Ich weiß“, gab ich zurück. „Ich hab's auch ausprobiert. Aber das Kokain heutzutage hat keine gute Qualität. Und wenn es mit Speed versetzt wird, ist es ganz furchtbar. Das reinste Sabbelpulver.“ „Hmmh“, nickte er betrübt. „Seitdem Konstantin Wecker sich die Koksbekennerbluse aufgerissen hat, ist es ja auch irgendwie peinlich geworden. Andererseits ist richtig gutes Kokain extrem gefährlich. Die Droge ist einfach zu gut.“ Wir fachsimpelten noch ein bißchen, bis der Arzt das Gespräch wieder auf meine Nase brachte. „Diese Fraktur“, fragte er, „wo haben Sie die her?“

„Das war ein Bundeswehrsoldat. 1980, auf der Sommerparty von Helmut Schmidt im Bundeskanzleramt in Bonn. Ein Unteroffizier hat mir die Nase zerdullert, und zwar volles Brett.“ Der Arzt tippte sich an die Stirn. „Sie können mir viel erzählen. Bundeskanzleramt. Helmut Schmidt. Hahaha.“ – „Doch“, sagte ich, „das stimmt. Ich war als Schülerzeitungsredakteur eingeladen. Das war damals bei der SPD so üblich, sich auch ein paar Leute dazuzubitten, die sie als ,kritische junge Menschen‘ bezeichnete und mit denen sie dann in einen ,Dialog‘ eintreten wollte oder sowas. Jedenfalls stiefelte ich auf dieser Party herum, überall waren Uniformierte, auf die Schmidt als Wehrmachtsleutnant natürlich steht, auch wenn er heutzutage in der Zeit von Mahatma Gandhi schwärmt, ausgerechnet Schmidt, dieser Herrenzwerg. Für mich als Kriegsdienstverweigerer waren die Uniformfritzen die blanke Provokation, und das sah man mir wohl auch an. Einer von denen ist mir dann im Dunkeln hinterhergegangen, und der war nicht nur dumm wie Stulle, sondern leider auch gut trainiert.“

„Ja ja“, sagte der Arzt, „Bürger in Uniform nannte man die damals.“ Und da mußten wir beide sehr lachen.