nebensachen aus warschau
: Mit „Malinowski“ kommt der Anschluss an die Welt

Die Polen lieben ihren Staatszirkus. Zwar schimpfen sie oft über Politiker, die ihre Rolle nicht professionell genug spielen. Aber eigentlich genießen sie das tägliche grotesk-komische Schauspiel in vollen Zügen. Und spielen auch selbst gerne mit.

Das neueste Stück heißt: „Gosiewo“. Włoszczowa, 1. Akt: Der Zug von Krakau nach Warschau rauscht durch Włoszczowa. Er hält nie hier, bremst nur kurz von seinen 160 Stundenkilometern runter und rast dann weiter Richtung Hauptstadt. Die Einwohner von Włoszczowa bekümmerte das sehr. Denn was waren die Bummelzüge nach Kielce, Tschenstochau und Oberschlesien im Vergleich zu einem Intercity-Anschluss in die Hauptstadt? Eine Bürgerinitiative forderte daher „Anschluss an die Welt“.

Warschau, 2. Akt: Der Bahnchef schnaubt „Włoszczowa!“. Die Trasse soll bis zu einem Tempo von 250 Stundenkilometern ausgebaut werden. „Da halten wir doch nicht in Włoszczowa!“ Doch es sind Wahlen, die künftigen Abgeordneten hören sich die Sorgen und Wünsche der Bürger genau an und machen Versprechungen. So auch Przemysław Gosiewski: „Wenn ich erst mal Minister bin, halte ich den Zug für euch an!“

Włoszczowa, 3. Akt: Montag, 16. Oktober 2006, 7.35 Uhr Der Intercity „Malinowski“ von Warschau nach Krakau hält mitten auf der Strecke an. Die Reisenden strecken die Köpfe aus dem Fenster und sehen Minister Gosiewski zusammen mit dem stellvertretenden Transportminister, dem Bahnchef und anderen wichtigen Leuten auf dem Bahnsteig stehen. Eine Blaskapelle spielt die Nationalhymne, weiß-rote Fahnen flattern im Wind, und auf einem riesigen Transparent steht: „Ganz Włoszczowa dankt Minister Gosiewski!“ Feierlich sagt der Minister: „Ich habe mein Wort gehalten!“

Am Abend zeigt das Fernsehen das ganze Spektakel in seinen Hauptnachrichten. Allerdings fahren die Kameras auch am Zug entlang: Es steigt niemand ein, es steigt niemand aus. Im Zug greifen fast alle zu ihren Handys: „Wir verspäten uns. Mindestens eine halbe Stunde. Wir stehen in Włoszczowa. Keine Ahnung, warum. Sieht aus, als hätte der Minister Geburtstag“. Dann rollt der Zug wieder an und verlässt den nagelneuen Bahnhof, der 3 Millionen Złoty (rund 800.000 Euro) gekostet hat.

Warschau, 4. Akt: Ganz Polen spricht schon jetzt von Gosiewo. Das Städtchen mit Intercity-Anschluss an die Hauptstadt wird möglicherweise umbenannt. Ein großes Denkmal zu Ehren des Ministers und Wohltäters der Nation ist geplant. Eine Delegation aus Włoszczowa trägt ihm die Ehrenbürgerschaft an. Gosiewski freut sich wie ein Kind: „Das hätte ich nicht gedacht!“ Allerdings hat die Delegation noch eine kleine Bitte: „Wir bräuchten einen internationalen Flughafen!“ Der Minister überlegt kurz: „Okay, ich schalte Brüssel ein. Das ist Regionalförderung.“ Hochbeglückt fährt die Delegation ab. Der Minister, da sind sie sicher, wird sein Wort halten.

Gosiewo, 5. Akt, in Vorbereitung: Gosiewo ist neue Hauptstadt Polens. Im Fünf-Minuten-Takt starten und landen Flugzeuge aus aller Welt auf dem internationalen Gosiewski-Flughafen. Eine Delegation überreicht Minister Gosiewski einen neu geschaffenen Verdienstorden am Bande. Nur eine kleine Bitte hat sie noch: „Den Vatikan. Wir hätten gern den Heiligen Vater in Gosiewo“. GABRIELE LESSER