Abschied vom 19. Jahrhundert

■ Nur noch bis Sonntag gewährt die Alte Nationalgalerie in Mitte einen Rückblick auf die eigene Geschichte. Danach muß das Museum wegen Renovierungsarbeiten bis 2001 geschlossen werden

Es herrscht reger Andrang in den Räumen der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel. Ab und zu stört das Geräusch von Bauarbeiten die Museumsstille. Denn außen am Gebäude wird gearbeitet. Nachdem die Freitreppe wiederhergestellt und die Kollonaden weitgehend freigeräumt wurden, greifen die Bauarbeiten nun auf das Innere des über 120 Jahre alten Stüler-Baus über. Für 130 Millionen Mark soll das Museum renoviert, Brandsicherheit und Raumklima auf den heutigen Stand gebracht werden. Bis zum Frühjahr 2001 wird das Museum daher für das kulturell interessierte Publikum geschlossen bleiben.

Zum Abschied wird ein Blick hinter die Kulissen gewährt: Im Untergeschoß wurde ein sonst hinter Zwischenwänden verborgener Rest der ursprünglichen, für die Austellung von Plastiken genutzten Säulenhalle zur Besichtigung freigegeben. Die Wände hatte Ludwig Justi zwischen 1911 und 1913 einziehen lassen, um mehr Ausstellungsmöglichkeiten für Gemälde zu schaffen. Die zweite Veränderung der Alten Nationalgalerie fand 1936 statt, als sich Berlin für die Olympiade rüstete. Damals wurden in den beiden großen, sich über zwei Geschosse erstreckenden Mittelsälen des zweiten Ausstellungsgeschosses gläserne Zwischendecken eingezogen. Genau darüber sollen nun im Obergeschoß zwei neue Oberlichtsäle für die Meisterwerke der Romantiker entstehen, die dann aus dem Schloß Charlottenburg hierher umziehen sollen. Die Bauarbeiten werden vom Architekturbüro Merz (Berlin/Stuttgart) ausgeführt, das unter anderem Gedenkstätte und Museum im ehemaligen KZ Sachsenhausen gestaltet hat.

Nur noch bis Sonntag kann man von der Alten Nationalgalerie Abschied nehmen, „Der kurze Abschied vom 19. Jahrhundert“ ist diese Phase benannt. Dazu wurde die ständige Ausstellung in ihren Höhepunkten wiederhergestellt und durch bisher magazinierte Werke und Leihgaben ergänzt. So sind aus der Kunstsammlung der Akademie der Künste die karikierenden Parlamentarierbüsten und aus dem Kupferstichkabinett die dazugehörigen Lithographien von Honoré Daumier zu bewundern. „Le Ventre Legislatif“ – „Der gesetzgebende Bauch“ hat Daumier das Ganze überschrieben.

Ebenfalls aus dem Kupferstichkabinett stammt die Federzeichnung Johann Gottfried Schadows „Der Tod des Sokrates“, auf der man zwischen den Schülern des Sokrates Moses Mendelsohn entdecken kann.

Im Mittelgeschoß kann man die Geschichte der Nationalgalerie in Akten, Briefen und Fotos verfolgen. So erfährt man, daß einige der repräsentativen Räume im November und Dezember 1941 die „Weihnachtsausstellung des Hilfswerks für deutsche bildende Kunst“ beherbergten. Und 1942 war hier die erste Ausstellung der „Artisti italiani in armi“ aus Rom auf besonderen Wunsch des Duce Mussolini zu sehen.

Ein Brief des kommissarischen Direktors von 1941 zeigt die andere Seite dieser Zeit. Darin bemühte er sich wegen der zunehmenden Luftangriffe auf die Reichshauptstadt um die geschützte Unterbringung von Kunstwerken in Kellerräumen der Nationalgalerie und Schutzräumen der Deutschen Reichsbank. Fotos dokumentieren die zerstörte Nationalgalerie nach 1945 und deren Wiedereröffnung im Juni 1949. Andrea Dech