Kreuzberg plattmachen!

■ betr.: „Ohne Wohnqualität“ (Pro Abriß), „Erst mal die Leute fra gen“, (Contra Abriß), taz vom 11.3.98

Da sind sie wieder, die Urbanisten aller Couleur, und singen ihr Ständchen vom Abriß des Schlechten und der schönen neuen Zeit danach...

Als ob die Debatte über die Sozialpaläste geschichtslos wäre: Außer Hämer, dem Nestor der behutsamen Stadterneuerung, fällt keinem auf, daß sich das Gerede vom Abriß als der Ultima ratio städtebaulicher Hilflosigkeit in schöner Regelmäßigkeit wiederholt.

Es ist knapp zehn Jahre her, kurz bevor die Mauer fiel und den Blick auf die komplexen Siedlungsanlagen des industriellen Wohnungsbaus im deutschen Osten freigab, da waren wir schon mal so weit: die Förderung für NkZ (Neues Kreuzberger Zentrum) und die WAK (Wohnen am Kleistpark) sollte auslaufen, die „Wohnmaschinen“ der frühen 70er Jahre rückten plötzlich in den Brennpunkt einer ansonsten höhepunktarmen Stadtentwicklungsdiskussion. Vom „Abriß der Schandmale“ war die Rede, von einer „Kultur der Bestandsentwicklung“ sprachen die anderen. Umfangreiche Untersuchungen wurden durchgeführt. Nachbesserungskonzepte entwickelt, internatinale Symposien abgehalten, um sich im Umgang mit den „Großwohnanlagen“ zu ertüchtigen.

Alles vergessen? Daß auch das Märkische Viertel einmal zur Disposition gestellt war, als städtebauliche Fehlentwicklung abgerissen zu werden?

Wie lächerlich mutet es an, Hunderte von Millionen Mark in die Konservierung erbärmlicher Plattenbauten zu stecken und dann den Abriß der Sozialpaläste zu fordern! Es sind gleichwohl die gleichen, die Veredeln und Vernichten ganz unverblümt in einem Atemzug nennen.

Und dann diese Borniertheit: mal eben 1.000 Wohnungen mit Zentralheizung, Bad und guten Grundrissen in die Luft sprengen, weil's dem urbanen Zeitgeist entspricht. Wie hießen denn die Landowskys und Stimmanns vor 25 Jahren, als diese Häuser als Mahnmale des Überlebenswillens der Stadt West-Berlin und als wohlfeile Steuerclaims der westdeutschen Ärzte- und Apothekerschar in den Himmel schossen, allseits belobigt für den Mut zum Kontinuitätsbruch, weg mit den verrotteten Altbauten, weg mit dem Sportpalast, jede neue Wohnung sind zehn Wählerstimmen! [...]

Wie schön, daß sich keiner mehr erinnert, daß Landowsky und Konsorten alle paar Jahre dieses Schmierentheater abziehen, um sich nach getaner Provokation genüßlich zurückzulehnen, um dem Gebell der Szene zu lauschen. Wie schön, daß Staatssekretäre, BürgermeisterInnen und taz-Kolumnisten auch mal gerne mit den Wölfen heulen, wenn der Mond hoch steht. Wie schön, daß es Sozialpaläste gibt, die eine echt urbane Gänsehaut erzeugen, wenn man aus sicherer Entfernung mit dem Finger darauf zeigt und langsam den Daumen nach unten dreht.

[...] Wen interessiert es wirklich, was zu tun wäre, um die Wohnverhältnisse dort zu kurieren, wen interessiert es schon, daß 25 Jahre Wohnerfahrung auch die Sozialpaläste zur Heimat werden lassen? Warum nicht Kreuzberg gleich ganz plattmachen, wo es dort und anderswo doch nur so wimmelt vor Sozialpalästen?

Wo es doch jetzt einen beträchtlichen Überhang an preiswertem Wohnraum in der Preisklasse um 15 Mark netto kalt gibt? Wären nicht Marzahn und Hellersdorf eine Alternative? Gesundes Wohnen im Grünen statt soziales Ghetto in der Innenstadt? Na also, Herr Stimmann, Platz da für das neue Berlin, wir landowskyisieren die Zentren des multikulturellen Stadtprojekts, und schon gewinnen wir Raum für urbane Sterilität mit internationalem Flair und stilglattem Globalambiente. Schöne neue Zeit, ohne Sozialpaläste im Sichtfeld, ohne Milieumief in der Nase, ohne diese unangenehme Betroffenheit, wenn man die Nähe des täglichen Elends spürt.

Wie arm müssen wir noch werden, um uns auch keine Paläste mehr leisten können zu dürfen? Michael Stein, Complan GmbH