Zwei Proteste in Saalfeld genehmigt

Thüringen ist bundesweit Spitzenreiter bei den rechtsextremen Straftaten. In Saalfeld demonstrieren am Samstag AntifaschistInnen „gegen rechten Konsens“ und Neonazis gegen „linken Terror“  ■ Aus Saalfeld Bernd Siegler

„Rechte Hochburg? Das ist doch alles Quatsch.“ Susanne Spindler, Pressesprecherin des Landratsamts im thüringischen Saalfeld, versteht die ganze Aufregung nicht. „Bei uns ist alles normal, hier gibt es keine rassistischen oder gar faschistischen Übergriffe“, kommentiert sie den Aufruf zu einer bundesweiten Demonstration am kommenden Samstag. Unter dem Motto „Gegen jeden rechten Konsens“ wollen Gewerkschaften, Bündnisgrüne, PDS, kirchliche und antifaschistische Gruppierungen am kommenden Samstag durch das Städtchen ziehen. Da zeitgleich Neonazis zu einer „Großkundgebung gegen den linken Terror“ mobilisieren, werden starke Polizeikräfte nach Saalfeld beordert.

Nicht nur über das in Erfurt ansässige „Nationale Infotelefon Deutschlandsturm“ versucht die rechtsextreme Szene, ihre „Kameraden“ nach Saalfeld zu mobilisieren. Auch mit Flugblättern, Spuckis und über das Thule-Netz rufen der „Thüringer Heimatschutz“, die „Kameradschaft Jena“ und andere Neonazi-Gruppierungen zu der Demonstration auf. Angemeldet wurde sie vom Chef des Landesverbands der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“, Frank Golkowski. Dieser wollte so ein Verbot der antifaschistischen Demonstration erreichen.

Doch nach dem derzeitigen Stand können beide Demonstrationen mit entsprechenden Auflagen stattfinden. Dem Landratsamt lägen, so Pressereferentin Spindler, „bis zum Moment keine Hinweise dafür vor, daß die Aufzüge nicht friedlich verlaufen oder daß Waffen mitgeführt werden“.

Am 11. Oktober letzten Jahres war das noch anders. Damals ging die Rechnung der Neonazis auf, und „Deutschlandsturm“ feierte per Ansagedienst einen „Erfolg auf der ganzen Linie“. Damals verbot das Landratsamt Saalfeld beide Demonstrationen. Zuvor hatten örtliche Politiker und Polizeichefs bis hin zu Thüringens SPD-Innenminister Richard Dewes vor einem Einfall gewaltbereiter linker Demonstranten nach Saalfeld gewarnt. Knapp 3.000 Polizisten wurden dann zur Durchsetzung der Versammlungsverbote nach Saalfeld beordert. Die Polizei verhängte über den Landkreis den Ausnahmezustand und nahm 488 Personen in Gewahrsam, darunter 428 aus der linken Szene.

Am kommenden Samstag werden Antifaschisten und Neonazis demonstrieren dürfen, allerdings mit strengen Auflagen. Während die rechte Szene durch die Innenstadt marschieren kann, vorbei am Flüchtlingswohnheim und vorbei am Schloßberg, wo Punks und Linke wohnen, drängt das Landratsamt die antifaschistische Demonstration an den Stadtrand. Vom Hauptbahnhof weg soll es nun unter ständiger Polizeibegleitung ins Neubaugebiet Gorndorf gehen. „Sie wollen uns wie einen Gefangenentransport über Felder und Wiesen jagen“, empört sich Lothar König, Stadtjugendpfarrer von Jena und Mitorganisator der Demonstration. Er hofft, daß die Gerichte die Route korrigieren.

Für Angelo Lucifero, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen in Thüringen, hat die Demonstration gegen rechts in Saalfeld einen „sehr hohen Stellenwert“. Er will damit nicht nur ein Zeichen setzen, gegen die örtliche „besonders unter Jugendlichen starke, offen faschistische Szene“. Seit Jahren steige in ganz Thüringen die Zahl rechter Straf- und Gewalttaten, von der staatlichen Politik würden diese Aktivitäten jedoch „gedeckelt“.

Gewerkschafter Lucifero kritisiert besonders Thüringens Innenminister Dewes und dessen Verfassungsschutzchef Helmut Roewer. „Von einem rechten Sammelbecken in Thüringen kann keine Rede sein“, betonte beispielsweise Verfassungsschützer Roewer zuletzt im Februar, als gerade in Jena eine Bombenbastelwerkstatt der Neonazis ausgehoben worden war. Ein Blick in die eigenen Publikationen müßte beide Herren eines Besseren belehren. So war 1996 Thüringen bei den rechtsextremen Straftaten bundesweit der Spitzenreiter im Pro-Kopf-Vergleich. Waren 1994 „erst“ 477 Straftaten dem rechten Spektrum zuzurechnen gewesen, waren es 1996 schon 934 und im letzten Jahr 1.206. Die rechtsextremen Gewalttaten kletterten innerhalb eines Jahres von 89 (1996) auf 140 (1997). Mal marschierten in Rudolstadt 2.000 Neonazis zum Gedenken an Rudolf Heß auf, dann wurde in einer Kleingartenkolonie in Gotha eine Nazi-Wehrsportgruppe ausgehoben. In Erfurt wurde das autonome Jugendzentrum von Nazis überfallen, wenig später war der Jugendklub „Villa K“ in Schmalkalden dran.

Im Mittelpunkt steht dabei der Raum Saalfeld, in dem sich verschiedenste Neonazi-Gruppierungen unter Führung von Tino Brandt zum „Deutschen Freundeskreis“ zusammengeschlossen haben. Dort zählt der Verfassungsschutz 120 Neonazis und 1996 allein 231 rechtsextreme Straftaten. Gemessen an der Bevölkerung im Landkreis, ist diese Zahl etwa viermal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Mittlerweile rufen besorgte Eltern im Landratsamt an und erkundigen sich, ob sie ihre Söhne noch guten Gewissens in das dortige Sportleistungszentrum schicken könnten. Auch dafür hat die Pressesprecherin des Landratsamts Saalfeld eine Erklärung parat: „Wir werden zum Spielball der Medien gemacht, überall passiert doch ab und zu etwas.“