„Es gibt nicht eine Lösung für alle Kinder und Jugendliche“

■ Experten der Jugendarbeit diskutierten über die Frage: Was tun mit kriminellen Kindern und Jugendlichen? Das dürftige Fazit: Die bestehenden Angebote besser nutzen. Die Selbstkritik stand nicht auf dem Programm.

Daß sich Fachleute der Jugendarbeit, Juristen und Politiker gemeinsam den Kopf über den Umgang mit kriminellen Kindern und Jugendlichen zerbrechen, ist lobenswert. Nur leider kam an dem Runden Tisch vergangenen Dienstag im Kreuzberger Jugendfreizeitheim „Wille“ nichts heraus. Der von den Treffen bitter enttäuschte Leiter des Kita-Amtes Pankow, Axel Schildhauer, brachte es mit den Worten auf den Punkt: „Statt ihre eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen, neigen Funktionsträger dazu, die Probleme überzudramatisieren oder zu verharmlosen“.

Anlaß für die Gesprächsrunde war die von Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) losgetretene Debatte um die Wiedereinführung von geschlossenen Heimen aufgrund der steigenden Kinder- und Jugendkriminalität. An Sachverstand mangelte es nicht. Dem Gastgeber, der Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGFH), war es gelungen, an dem Tisch sowohl den Leiter des Landesjugendamtes, Wolfgang Penkert, als auch mehrere Spezialisten aus den Bezirken zusammenzutrommeln. Ferner hatten sich Justizstaatssekretär Detlef Borrmann (SPD) und der Soziologieprofessor Reinhart Wolff eingefunden sowie eine Moabiter Jugendrichterin, ein Hauptschulrektor und sämtliche jugendpolitischen Sprecherinnen der Abgeordnetenhaus-Parteien. Einzig die Polizei war der Einladung nicht gefolgt.

Penkerts Aufgabe war es, den Problemkreis zu definieren. Die Kriminalität der unter 14jährigen ist zwar deutlich gestiegen, aber die überwiegenden Taten sind Diebstahlsdelikte. Weil die Roheitsdelikte sowie die räuberische Erpressung durch Kinder aber gleichfalls ansteigen, plädierte Penkert eindringlich dafür, die Dinge „ernst zu nehmen“. Den kleinen Kreis der harten Delinquenten bezifferte er auf 50 deutsche und 100 bis 150 ausländische Kinder, in erster Linie Rumänen.

An der Frage, ob diese Kinder und auch die jugendlichen Schwerst-Wiederholungstäter durch pädagogische Maßnahmen überhaupt noch erreichbar sind, schieden sich die Geister. „Wir können sie nicht mehr beschulen“, berichtete Hauptschulrektor Dieter Hohn. Die Schwerstkriminellen tauchten nur sporadisch in den Klassen auf, entfalteten aber eine verhängnisvolle Sogwirkung: „Wenn sie mehrere Tage in der Schule sind, gibt es Konflikte bis hin zur Bandenbildung“.

Man müsse sich von dem Anspruch freimachen, „für alle Kinder und Jugendlichen eine Lösung zu finden“, vertrat die jugendpolitische Sprecherin der CDU, Cerstin Richter-Kotowski. Der Leiter des Jugendaufbauwerks (JAW), Günther Menkel, dem immerhin 40 Einrichtungen unterstehen, pflichtete der CDU-Vertreterin bei: „Es wird kein Mittel geben, diese Probleme zu beseitigen. Es ist wichtig, die Grauzone zu sichern.“ Dafür müßten keine neuen Angebote geschafft, sondern die bestehenden besser genutzt werden.

Kritische Töne in puncto Sozialarbeiter schlugen nur die Jugendrichterin Andrea Bartl und Amtsleiter Axel Schildhauer an. Die Jugendrichterin wußte aus Erfahrung zu berichten, daß Jugendgerichtshelfer bei weitem „nicht immer alles ausschöpfen“, um delinquenten Jugendlichen auf den rechten Weg zu helfen. „Unzählige Kinder und Jugendliche werden nicht erreicht“, bestätigte Schildhauer. „Eine hohe Zahl von Beschäftigten fühlt sich überfordert und läßt sich bedauern“. Die Einrichtungen müßten entweder neue Konzepte entwickeln oder schließen, „und die Mitarbeiter brauchen einen Sozialplan“, forderte Schildhauer. Außerdem plädierte er für eine Dezentralisierung der Jugendämter und zweifelte an, daß die langen Ferien der Lehrer angesichts der vielen außerschulischen Konflikte noch vertretbar sind.

Reinhart Wolff bescheinigte dem Kreis, „wenig Phantasie“ entwickelt zu haben, als er die Diskussion zusammenfaßte. Bei einer Folgeveranstaltung sollen Sozialprojekte eingeladen werden, die sich mit neuen Konzepten auf die Anforderungen eingestelllt haben. Schildhauer hofft inständig, daß dabei mehr heraus kommt als eine „Selbstbeweihräucherung“ um die Frage: Wer hat die schlimmsten Jugendlichen? Plutonia Plarre